Sonntag, 5. März 2023

Frau mit gelbem Barett – Der hessische Radio-Tatort auf Erfolgskurs

 

© ARD / Jürgen Frey

Der hessische Rundfunk erweist sich nicht gerade als ein großer Krimifan. In jedem Jahr gibt es nur eine Folge des Tatorts. Immerhin hat die Redaktion ein bereits 1986 produziertes Hörspiel von Patricia Highsmith ausgegraben. Schade, weil der HR mit den Koppelmanns über ausgezeichnete Regietalente verfügt. Leonard Koppelmann veröffentlicht wenigstens attraktive Archivschätze im HR.

Der neue Tatort von Jan. 23 zeigt: Gut Ding will Weile haben. Er ist die 5. Episode mit dem Doppel von Kommissaren und den Bürodamen.

 

 

Inhalt

 

In der Offenbacher Villa einer reichen Industriellen wird eingebrochen. Ein Original-Picasso aus dem Jahre 1939 wurde gestohlen und die Industrielle schwer verletzt. Sie liegt auf der Intensivstation und kämpft um ihr Leben. Die Kommissare Hass und Teschenmacher merken schnell, dass die Ermittlung nicht einfach wird. Es gibt keine Zeugen. Die Alarmanlage war seit einigen Tagen defekt. Ihr Lebenspartner Volker Kiebich lag zum Zeitpunkt des Überfalls noch angetrunken im Bett und hat nichts mitbekommen. Er ist ein erfolgloser Maler und Lebemann, der sich mit der finanziellen Abhängigkeit von seiner Partnerin bestens arrangiert hat. Auch ein befreundetes Künstler-Ehepaar, mit denen die beiden abends zusammen waren, kann nicht weiterhelfen. Er ist ein Säufer vor dem Herrn, sie eine ebenfalls erfolglose Künstlerin. Die vier hatten wohl eine ménage à quatre.

Doch dann meldet sich ein Unbekannter per Telefon: Er bietet das Bild an. Doch die Übergabe scheitert. Dann brennt der Bauernhof des Künstlerehepaars fast ab und mit ihm ein Picasso? Überraschend taucht ein Schweizer Kunsthändler auf und behauptet, seit Kurzem im Besitz des Picasso zu sein.

Die Industrielle überlebt nicht. Kiebich muss die Villa verlassen. Seine Lebensperspektive bricht zusammen. Für die Polizei und alle Beteiligten entsteht eine ausweglose Situation.

 

Das Hörspiel

 

Um es vorwegzunehmen: Das Hörspiel hat einen faszinierenden, völlig unerwarteten Plot! Allein deswegen lohnt das Anhören. Auch wenn das Künstlermilieu in der Tatortepisode von 2020 schon aufgegriffen wurde.

Eigentlich ist die Konstruktion des Hörspiels sehr kompliziert. Die Handlung wird von den beiden heftig hessisch babbelnden Bürodamen Rettich und Felsenstein erzählt. Die Eine erzählt der Anderen, was sie alles mitbekommen hat. Wie Büros so sind. Sprung in die gerade erwähnte Handlung wie z.B. eine Befragung mit den tatsächlichen Figuren. Der Befragte berichtet nun von einem Gespräch. Erneuter Sprung in das Gespräch, welches natürlich zeitlich zurück liegt. Kompliment an die Regie, die sicherstellt, dass der Hörer dennoch immer gut folgen kann.

Im Team der Kommissare Haas und Teschenmacher ist in dieser Episode ist der ältere Haas der auffallende Ermittler. Weil er nicht aufgibt und immer wieder neu nachdenkt, erhält der Fall viele unerwartete Wendungen. Die Beiden ermitteln im Milieu der Reichen und der Künstler und fühlen sich sichtlich unwohl darin. In dieser Gemeinsamkeit hat aber jede Figur ihren völlig eigenen Charakter, der auch in der Ausdrucksweise jeden Moment deutlich zu hören ist. Es gibt Säufer, Traumtänzer und Betrüger, die der Autor Mosebach aber immer auch mit Sympathie behandelt. Dies hört der Lauscher deutlich, weil alle Rollen bestens besetzt sind. Da tragen dann ein Versicherungsagent (Martin Brambach) oder ein befragter Taxifahrer (Walter Renneisen) zur Spannung bei, indem sie die Lust am Zuhören steigern. Überragend Hedi Kriegeskotte, mit dem leicht überheblichen, souveränen Ton einer reichen Industriellen und ihr Partner, der Maler und Lebenskünstler, gesprochen von Leopold von Verschuer. Man kann ihn hassen oder lieben. Emotion pur. Überhaupt gibt es wechselnde Hörangebote: Zwischenmusik, begleitende Musik, eine kaum auszuhaltende, lärmende Alarmanlage, aber auch gackernde Hühner.

Die Story wird immer mit leicht ironischem Ton erzählt, was sicher nicht jedem Hörer gefällt. Sie erzählt eine klassische Ermittlungsarbeit. Geprägt von Wahrheiten, Erinnerungslücken und Lügen. Gelegentlich ist es der Fantasie zu viel. Es muss nicht, wie in vielen Fernsehtatorts, auch noch das SEK auftauchen.

 

Misc.

 

Der Autor hat seine Hausaufgaben gemacht. Tatsächlich ist 2018 ein Picasso mit dem Titel „Frau mit Barett“ für 56 Mio. Euro bei Sotheby versteigert worden. Es ist zwei Jahre früher als das Bild im Hörspiel gemalt worden: 1939

 

Fazit

 

Das HR-Team hat sich mit dieser Episode in die höchste Liga der Tatort-Krimis gespielt. Die Figuren haben sich weiterentwickelt und machen Lust auf mehr. Nicht versäumen.

 

 

Wertung 90%

 

Dauer ca. 54 Min.

 

 

Verfügbarkeit

 

ARD Audiothek und direkt beim HR

 

 

 

 

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