Sonntag, 29. Januar 2023

Der Bucklige – Ein Sherlock-Holmes Hörspiel als Spoken Picture

 

 


 

Der Maritim Verlag hat sich durch seine zahlreichen Holmes-Hörspiele verdient gemacht und wohl auch verdient. Dazu braucht man gutes Marketing und die Bereitschaft alte Produkte nach Gebrauch zu recyceln, denn die treue Kundschaft wartet auf neue hörenswerte Ware.

Tatsächlich zeichnet sich gerade eine neue Welle von Hörspielen rund um Sherlock ab. Holysoft verlegt die Kanon-Stoffe neu und DAV veröffentlicht im März 23 weiter Folgen der beliebten Reihe Sherlock & Watson mit Johann von Bülow und Florian Lukas in den Hauptrollen. Maritim hat nun dem Künstler Florian Moser die Rechte an dem Hörspiel „Der Bucklige“ abgetreten, um einen animierten Scherenschnitt zu produzieren. Es liegt nun an den Hörern und Zuschauern zu zeigen, ob sich weitere Produktionen lohnen.

 

Der Bucklige

 

Das Spoken Picture beruht auf dem Kanonstoff „Der Verwachsene“, das 1893 erstmals im Magazin The Strand erschienen ist. Als Hörspiel ist es unter dem Titel „Der Bucklige“ (Sherlock Holme 21) von Maritim 2007 mit den beliebten Sprechern Christian Rode und Peter Gröger veröffentlicht und als „alter Fall“ mit neuem Sound 2015 von Highscore reloaded worden. 2021 erschien dann eine Version mit neuem Cover. Diese Sprachversion ist auch Grundlage der aktuellen Animation.

Titania Medien veröffentlichten „Der Bucklige“ 2017 als Folge 30 in ihrer Sherlock Holmes Reihe.

Die Handlung ist schnell erzählt:

Der Meisterdetektiv und sein getreuer Chronist reisen nach Aldershot, um dort Ermittlungen anzustellen, die den gewaltsamen Tod von Colon James Barclay betreffen. Die Umstände, unter denen der Colonel starb, könnten mysteriöser kaum sein. Seine Frau Nancy ist die Hauptverdächtige der Polizei, doch Sherlock Holmes ist, obwohl alles gegen sie spricht, anderer Meinung, was ihre Schuld betrifft...(Verlagstext).

 

 

Spoken Picture

 

Die Animation besteht aus einer durchgängigen Bebilderung mit einfachen statischen Bewegungen der gezeichneten Figuren, es erinnert ein wenig an Scherenschnitt-Bewegungen. Zusätzlich wird es noch durch Perspektivwechsel, Zoomen und andere Verfahren optisch attraktiver. Dieses Verfahren ist in der Produktion vergleichsweise günstig. Am besten auf Youtube mal selbst anschauen. Dem Künstler Florian Moser ist es gelungen, die Holmes – Periode um 1900 optisch stimmig einzufangen. Alles ganz hervorragend mit viel Liebe zum Detail und zur Atmosphäre gezeichnet mit prunkvoll ausgestatteten Räumen und klar unterscheidbaren Personen. Die Gestaltung der Hauptfiguren wird sicher nicht jedem Hörer gefallen. Gelegentliche Einblendungen von alten Originalaufnahmen oder Texten vertiefen die Stimmung. Sicher wird damit die Aufmerksamkeit in wenigen Fällen in bestimmte Richtungen gelenkt. Eigentlich ein No-go für Hörspiele. Aber wenn Moser bei der Erwähnung von Watsons Kriegserfahrung Bilder von Krankenhausbetten zeigt, gewinnt das Hörspiel an Emotion. Die Originalvorlage ist eher trocken und das Hörspiel eher nüchtern und ruhig.

Musik und Sound wurden gegenüber dem Vorlagenhörspiel deutlich modernisiert auf technisch auf ein hohes Niveau gebracht.

 

 

 

Die Perspektive

 

„Der Bucklige“ ist eine ausgesprochen gelungene Version. Ob sich für die Zukunft genügend Interessenten für weitere Episoden finden bleibt abzuwarten. Nicht jeder Hörer schaut überhaupt auf einen Bildschirm. Wer dies tut, bleibt wach und erhält optische Anreize für ein eigenes Weiterdenken der Story. Fans von Sherlock Holmes Hörspiel gibt es reichlich.

Aktuell bieten Maritim/Moser auf Youtube eine werbefinanzierte, für den Betrachter kostenlose Version an. Für weitere Episoden sucht Florian Moser per Crowdfunding Unterstützer. Für 3D Modeling, Animation, 2D Painting, Sounddesign, Postproduktion, etc. sind für eine weitere Folge 50.000 € erforderlich. Das bei Patreon vorgestellt Abo-Modell ist eine Option den Klauen der großen Streaming-Dienste zu entkommen und den Kontakt zu den Hörern zu verbessern.

 

Fazit

 

Ein mutiger Schritt der Produzenten, der die Holmes-Szene auf jeden Fall um eine attraktive Variante bereichert.

 

 

https://www.patreon.com/sherlock_holmes_animation

 

 

https://www.startnext.com/sherlock-holmes-animation

 

 

https://sherlockholmes.fandom.com/de/wiki/Der_Verwachsene

Freitag, 20. Januar 2023

Mord im Outlog – Ein schräger Near-Future Radio Tatort des SRF

 

© ARD / Jürgen Frey



Der Schweizer Rundfunk ist inzwischen regelmässig im Radio Tatort vertreten. Nach Abschluss der Meiringer Trilogie um Sherlock, startet nun ein neues, eindeutig der Zukunft zugewandtes Team. Mord im Outlog steht seit Dez 22 zum Anhören und Download zur Verfügung.

 

Inhalt

 

Freinau, Schweiz, 1.500 m hoch, im Jahr 2056

 

Laura Martini, ehemalige Hauptkommissarin, führt eine kleine eigenwillige Lodge, die nur mit Kamelen oder Eseln zu erreichen ist. Die Lodge arbeitet klimaneutral und ist vollständig autark. Klar, dass Gäste ihr elektronisches persönliches Terminal abgeben müssen. Sie haben ja immer noch ihren implantierten „Engel“, der sie vor allen großen und kleinen Problemen des Daseins warnt. Aber es gibt nicht mehr viele Probleme, seit die Polizei abgeschafft wurde, weil es in der Schweiz keine Morde mehr gibt. Stattdessen schützt das Swiss Health Institute die Schweizer.

Freinau und die Pension von Laura werden zur Zufluchtsstätte der Outlaws, Querdenker und Outlogger. Ein kleines Idyll, in dem plötzlich in den Fäkalien des Elefantenstalls ein investigativer Journalist ermordet aufgefunden wird. Sofort sind die Drohnen des SHI zur Stelle und wollen die Leiche beseitigen.

Hat das SHI einen Outlogger beseitigt? Oder will das SHI den Ruf des Dorfes für immer ruinieren? Oder war es ein Anhänger der geplanten Seilbahn, der einen prominenten Gegner beseitigen wollte? Selbst der Elefantenpfleger gerät in Verdacht.

Bei Laura erwacht der Ermittlerinneninstinkt.

 

Das Hörspiel

 

Dem Hörspiel ist nicht leicht zu folgen, obwohl es kein Schwyzer-Dütsch ist. Aber es gibt viele kleine Rollen, Zeitsprünge und Rückblenden sowie eine abwechslungsreiche, aber anstrengende, gelegentlich übertönende Tonkulisse.

Ein kurzes Intro führt den Hörer in die Welt dieses Mikrokosmos im Outlog des Jahres 2056 ein. Auf einen Erzähler wird verzichtet. Im Mittelpunkt stehen Laura, die ausgestiegene Kommissarin und ihr Antipode, der Leiter des SHI, ihr ehemaliger Chef bei der Polizei. Sie will aufklären, er vertuschen. Außer Laura sind in diesem closed-area eigentlich alle verdächtig. Lauras Spurensuche ist eine Mischung aus guten alten Befragungen und High-Tech Methoden. Laura nutzt High-Tech, um eine Audio-Aufnahme der Tatnacht hören zu können. Aber ihr ehemaliger Chef attestiert ihr, ein Gespür für Gefahr. Wie überhaupt das Hörspiel die Alte Welt und die Neue Welt beständig mischt. Schön zu hören, dass Zukunft immer aus der Vergangenheit kommt. Als Krimi ist das Hörspiel mäßig spannend, weil es einfach hoffnungslos überladen ist.

Gesundheit durch High-Tech, Überwachungsstaat, Pro und Contra Seilbahn, Verliebtheit und Sex, Drohnen und Kamele, halluzinogene Pilze usw. Da verliert offenbar selbst der Autor den Überblick. Auf ein Dorf in 1.500 m Höhe kommt jeder Wanderer locker zu Fuß. Da baut nicht einmal ein Großinvestor eine Seilbahn.

Dem Hörspiel hätte eine Fokussierung auf wenige Themen gut getan.

 

Die Inszenierung

 

Das Hörspiel ist ein akustischer Genuss ersten Ranges. Elefant, Kamele, Insekten alles gut und oft zu hören, selbst der Elefantendurchfall. Wie so oft ist in Krimis das Wetter schlecht. Also Gewitter, Donner, Sturm. Auch High-Tech fehlt nicht: große und kleine Drohnen, Speaker, personal terminals, aber auch ein guter alter Trafo. Sound und Musik gehen ineinander über und drängen sich stark in den Vordergrund. Der Hörer darf eher schmalzigen Tönen von Elvis und Tom Waits lauschen. Wenn der Italiener Vito spricht, klingt ein wenig Paolo Conte durch.

Überhaupt die Sprache. Die Hochsprache ist ständig von englischen Modewörtern durchsetzt.

Es gibt einen Inder (Pfleger), einen Österreicher, eine Italienerin, Dialektschweizer und hochsprachliche Schweizer. Alles vorzüglich gesprochen, aber wieder zu viel des Guten.

Der Autor neigt offenbar dazu, seine Bildung dem Hörer angedeihen zu lassen. belesene Film-und Musikzitate (Humphrey Bogart, Singing in the rain) mischen sich mit platter, teils ordinärer Sprache. Wie im Kindermund spielt Elefantenkacka eine große Rolle im Hörspiel. Bei einer Darmspiegelung wird heimlich ein Überwachungschip eingeführt! Vielleicht ist es ja als „dem Volk aufs Maul schauen“ gemeint. Die Abkürzung des Schweizer Health Institut (SHI), muss dann auch für einige Wortspielereien herhalten z.B. Ski.

Der Tonfall ist über weitere Strecken ironisch, was die Orientierung nicht erleichtert.

Wolfram Höll macht im Nachspann beim SFR darauf aufmerksam, dass man die Feinheiten erst beim zweiten Hören wahrnimmt.

 

Fazit

 

Gut gemeint, sicher mit hohem Aufwand und Liebe zum Detail gemacht, dennoch nicht gelungen, weil der Autor sich verzettelt hat. Viele akustische Highlights allein machen keinen spannenden Near-Future-Krimi aus.

 

Wertung 60%

 

Dauer 50 Min.

 

 

Verfügbarkeit

 

ARD Audiothek und direkt beim SRF; die Version des SRF enthält eine kurze Einführung und ein Interview mit der Dramaturgin

 

Sonstiges

 

Tom Waits Johnsburg/Illinois: https://youtu.be/9zwjndhFhGk

 

Humphrey Bogart auf Youtube: https://www.youtube.com/results?search_query=humphrey+bogart

 

Singing in the rain mit Gene Kelly: https://www.youtube.com/watch?v=D1ZYhVpdXbQ

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Sonntag, 8. Januar 2023

Eifel-Filz – Ein Hörspiel vom Erfinder des Regionalkrimis


 

 

Seit einiger Zeit veröffentlicht Winterzeit Audiobooks wieder einige „echte“ Hörspiel um den knorrigen Journalisten und Hobbyermittler Siggi Baumeister. Autor ist Jacques Berndorf, der als Erfinder des Regionalkrimis gilt und vor 30 Jahren hohe Buchauflagen erzielte. Er setzte der Eifel mit ihrer landschaftlichen Schönheit und eigenwilligen Menschen ein Denkmal, bevor es das Fernsehen ihm nachmachte. 2002 hat der WDR „Eifel-Feuer“ als Hörspiel bearbeitet. Berndorf ist im Sommer 22 verstorben. Eifel-Filz ist ein zweiteiliges Hörspiel, das auf einer Buchvorlage von 1995 beruht.

 

Inhalt

 

Auf einem einsam gelegenen Golfplatz wird ein Pärchen seltsam ermordet aufgefunden. Noch bevor er die Polizei holt, ruft der Platzwart seinen alten Freund und Hobbyermittler Siggi Baumeister an, der entsetzt und hilflos seinen Kopf schüttelt, aber auf einen lohnenswerten Zeitungsartikel hofft. Die Polizei identifiziert den Toten als einen jungen ehrgeizigen Mitarbeiter der örtlichen Sparkasse. Erst später wird die Frau als seine Geliebte erkannt. Aber beide sind bekannte, honorige Menschen ohne dunkle Flecken. Warum werden solche Menschen umgebracht? Tatwaffe war eine Armbrust über die ein für Menschen extrem gefährliches Betäubungsmittel geschossen wurde. Der neue Kommissar Wiedemann ermittelt mit seinem Team und seinen Möglichkeiten, hält aber Kontakt zum lokalen Kenner der Szene Baumeister, der von dem pensionierten Kommissar Rodenstock und einer jungen Soziologin unterstützt wird. Schnell entdecken sie die dunklen Flecken der beiden Toten. Sie sind in dubiose Finanztransaktionen verwickelt. Die Lage spitzt sich zu, als ein Attentat auf Baumeister verübt wird. Er überlebt, der Killer nicht. Tatsächlich hat der Fall Dimensionen weit über die Eifel hinaus. In Liechtenstein werden die drei Hobby-Ermittler fündig und Baumeister riskiert erneut sein Leben.

 

Das Hörspiel

 

Die Ermittlungen werden aus der persönlichen Sicht von Siggi Baumeister erzählt und bewertet. Der Sprecher Matti Klemm erzählt in ruhigen, persönlichen Tönen meist mit humorigem Hintergrund. Dies klingt insgesamt sehr stimmig. Wie überhaupt das Siggi-Team überzeugend gelingt. Seine schmusigen Katzen sind fast eine Erkennungsmelodie. Die junge Soziologin, die ihre Rolle im Leben noch nicht gefunden hat und der pensionierte Kommissar mit Insiderkontakte sind eine passende Ergänzung. Dazu kommen noch ein paar schwer durchschaubare Charaktere: der lokale Sparkassendirektor, die gehörnten Ehepartner, internationale Finanzjongleure und solide Kriminelle. Leider spielt Hans-Otto Schenk das lokale Finanzgenie Charlie hoffnungslos überbetont und wenig vielseitig. Schade, denn Charlie bringt die Ermittlungen eigentlich besser voran als Siggi Baumeister.Die Figuren begegnen dem Hörer an vielen abwechslungsreichen Hörplätzen weit über die Eifel hinaus. Die Handlung ist eine Mischung aus trauter Eifelatmosphäre und Hochspannung. Viel Abwechslung, viele Ideen, die leider nicht alle überzeugend sind. Der spannende Showdown zum Ende klärt den Fall und hinterlässt dennoch einige Fragezeichen.

Die Musik und Geräusche gelungen und passend, aber eher sparsam eingesetzt, die Konzentration liegt auf der Handlung. Gelegentliche Sprechfehler trüben den Gesamteindruck. Der Text schwankt zwischen anspruchsvollen Passagen und derber Komik.

Die reichlich zwei Stunden hätte man gut und gerne etwas kürzen können. Insgesamt sind die Menschen in der Eifel und die Gegend wohlwollend gezeichnet. Kein Wunder, dass Berndorf mit seinen Werken zum Vorbild wurde. Der Text wirkt immer etwas angestaubt. So würden heute niemand mehr sprechen. Insofern ist das Hörspiel auch ein Zeitdokument.

 

Fazit

 

Gediegene Unterhaltung für einen langen Novemberabend und ein gelungener Regionalkrimi mit dem Urgestein Siggi Baumeister als Hobbyermittler. Etwas Heimatfeeling, ein wenig Erotik, viele gute Dialoge und ein paar spannende Highlights. Auf den Hörer warten noch eine Reihe weiterer Folgen.

 

Wertung 80%

 

Dauer 169 Min.

 

 

Verfügbarkeit

 

Amazon

 

Oder direkt bei Winterzeit

 

Sonstiges

 

Bewertung des Buches

 

Insiderkommentare

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Montag, 2. Januar 2023

Blut – Ein true-crime-Hörspiel mit mehr Wut als Blut

 

Die Autorin ©Senzefrau/Wikipedia

Im November 22 bringt der Bayerische Rundfunk ein Original-Hörspiel von Dana von Suffrin zu Gehör. Der BR setzt damit eine mutige Tradition fort, historische Themen und Stoffe in neuer Form aufzugreifen. Es ist das zweite Hörspiel der literarisch jungen Autorin, die tief in der jüdischen Kultur verwurzelt ist. Es ist wohl eher Zufall, dass der historische Kriminalfall auf den sich dieser Stoff bezieht, bereits 2008 von dem renommierten Literaten Rolf Schneider in einem Hörspiel (Die Affaire Ernst Winter) verarbeitet wurde.

 

Inhalt

 

Im Winter 1900 werden in der kleinen westpreußischen Stadt Konitz Reste des grausam zerstückelten jungen Gymnasiasten Ernst Winter aufgefunden. Ein hinzugezogener Laienpathologe befindet, dass eine solch saubere Zerlegung nur von einem gelernten Metzger durchgeführt werden kann. Im Dorf gibt es den erfolgreichen, dennoch ungeliebten Metzger Hofmann und den jüdischen Metzger und Viehhändler Lewy. Beide werden von der örtlichen Polizei verdächtigt, diese finden aber keine eindeutigen Tathinweise und fordern Hilfe an.  Der zugereiste Kommissar erlebt einen Ort voller Wut und Hass gegen Juden, voller Schauermärchen, Lügen und Gespinste. Ein Lumpensammler soll mit dem toten Kopf des Jungen durch den Ort gezogen sein. Hat der Sohn des Metzgers einen Konkurrenten beseitigt? Die bisherigen schlampigen Ermittlungen machen es unmöglich, den tatsächlichen Tatverlauf trotz vieler Zeugenaussagen festzustellen. Im Ort eskaliert die Situation. Viele Stadtbürger gehen gegen die Juden auf die Straße, verteidigen massiv den „deutschen“ rechtsradikalen Metzger. Entnervt zieht sich der Kommissar nach einigen Tagen ohne Ergebnis zurück.

 

Das Hörspiel

 

Das Hörspiel ist in gewisser Hinsicht ein historischer True-Crime mit einem grausamen Mord im Mittelpunkt des Geschehens. Es ist kein Spoiler zu erfahren, dass bis heute ungeklärt ist, wer den jungen Mann getötet hat. Die Spannung wird nicht durch die Suche nach dem Täter erzeugt, sondern durch die zunehmende Eskalation der Situation. Das Hörspiel schildert eher grob die Ermittlungen, aber das Verhalten der Menschen und Behörden, das später zum größten Polizeieinsatz im Kaiserreich führen wird, um Juden zu schützen. Die Autorin hat die reale Geschichte ausführlich studiert und sie literarisch verarbeitet.

Erzählt wird das Drama von einem neutralen Erzähler. Getragen von der Vielzahl dialogischer Charakterstudien: die jüdische Familie Lewy, die deutschnationale Familie Hofmann, die Dienstmädchen, die vielen Verhöre des Kommissars mit wirren Menschen. In diesen Verhören kommen Menschen wie die Dienstmädchen, die nicht lesen und schreiben können zu Wort. Eingeblendete Radionachrichten (die es zu der Zeit in Konitz noch nicht geben konnte) und vorgelesene Zeitungsausschnitte von Dienstmädchen vermitteln den Eindruck von Authentizität. Demgegenüber stehen die vielen Kleinstadtbewohner mit ihren Eigenheiten und Marotten, die ein hörenswertes Typen-Panoptikum bilden, aber zunehmend Angst und Schrecken verbreiten, der sich in Hass gegenüber dem „Judenmördern“ steigert. Da gibt es Gerüchte, die zu Lügen werden, Verbreitung von Schauermärchen und gezielte Tätlichkeiten gegen die Juden. Mal bremst die Musik das Tempo, mal beschleunigt sie, mal ist sie melodiös, mal wenig harmonisch, elektronisch. Lediglich der zugereiste Kommissar bewahrt die Ruhe und ermittelt sachkundig. Am Ende muss er dem Mob nachgeben und reist ab.

Alle Rollen sind bestens und glaubwürdig besetzt, niemand drängt in den Vordergrund. Deutlich sind die verschiedenen Schichten zu unterscheiden, vorsichtig werden Dialekte eingesetzt.

Das Hörspiel ist furchterregend, weil der Hörer spürt, genau so können sich heute jederzeit solche Szenen wiederholen. Distanz, Ablehnung zuletzt Hass und Gewalt. Akten verschwinden, Verschwörungstheorien, Schauermärchen. Niemand verteidigt die Schwachen und der Staat muss oft genug seine Hilflosigkeit eingestehen. Auch die so scheinbar neutralen Medien tragen ihren Teil zur Eskalation bei, indem sie den Lügner öffentlichen Raum geben. Es ist die Kunst dieser Inszenierung, dass der historische Stoff unmittelbar unter unsere Haut dringt. Der Ton ist nie anklagend, eher sachlich, gelegentlich witzig, wenig Dialekt.

 

Die Affäre Ernst Winter von Rolf Schneider

 

Das ältere Hörspiel ist ruhiger und schlichter. Die Geschichte wird aus der Perspektive des örtlichen Kommissars (z.T. in Ich-Form) erzählt. Der mitfühlende Text des Literaten wird von dem bereits verstorbenen Vadim Glowna einprägsam gesprochen. Auch dort gibt es viele hörenswerte Dialoge und die Rolle der Medien und der Politik wird thematisiert. Einen besonderen Reiz macht es aus, dass die Regie deutlich pommersche und jiddische Töne erklingen lässt. Das Hörspiel ist über Youtube verfügbar.

 

Fazit

Ein klamm heimlich politisch-historischer Kriminalfall, der den Hörer bestens unterhält, gelegentlich unter die Haut geht und die meisten Hörer wohl noch ein paar Tage beschäftigen wird.

 

Wertung 90%

 

Dauer 50 Min.

 

 

Verfügbarkeit

 

ARD Audiothek

 

Sonstiges

 

Weitere Einzelheiten zum Hörspiel vom BR

 

Ein Interview mit der Autorin

 

Wikipedia zur Konitzer Mordaffäre mit weiteren Verweisen 

 

Homepage des Komponisten Cornelius Borgolte

 

 

 

 

 

 

 

Mord in fünf Tagen - Ein Hörspielwerkstatt - Podcast

    Der Bayerische Rundfunk erfreut seine Hörer nicht nur mit Holmes-Klassikern aus den 1960-er Jahren, sondern wagt auch...