Sonntag, 31. März 2024

Ein Mann mit vielen Talenten – Castle Freeman nimmt Faust ins Visier

  

Buchcover

 

Der Amerikaner Castle Freeman wurde in Deutschland als Autor spät entdeckt. Der heute 80-Jährige bietet im gleichnamigen Roman (Engl: The devil in the valley, 2015) seine Interpretation des klassischen Faust-Themas an: Du darfst eine Zeit länger leben, und die Zeit in vollen Zügen genießen, dann gehörst du mir. Wer die vie bereits beim SWR erschienen Hörspiele von Freeman kennt, wird ahnen, dass es wohl nicht so einfach für den Teufel wird und vermisst Lucian Wing. Allerdings hat der SWR durch kluge Besetzung und Dramaturgie für Verbindendes gesorgt.

 

Inhalt

 

Die junge Polizistin Madison hält ein Fahrzeug an und will die Papiere sehen. Die sind seltsam. Doch dann sind Fahrzeug und Fahrer verschwunden. So wird ein Gehilfe des Teufels eingeführt, auf dem Weg zu Langdon Taft. Alt und einsam, aber wohlhabend lebt der ehemalige Lehrer in einer baufälligen Hütte in Vermont, im Nordosten der USA. Taft liebt es, auf der Terrasse zu sitzen und seinen billigen Scotch zu genießen. Sein einziger Freund ist Eli Adams, ein Allrounder, der dort hilft, wo es Taft an Talent mangelt. Unerwartet bekommt Taft Besuch von Dangerfield, den niemand sonst sieht, aber hört. Dangerfield ist ein Abgesandter des Teufels. Er bietet Taft einen Deal an: Du darfst noch bis zum Columbus-Day (7 Monate) leben. Und was bekomme ich dafür? Du darfst in der Zeit alle meine Talente nutzen. Und davon habe ich viele. Taft willigt ein. Und dann beginnt eine Reihe von teuflischen Überraschungen. Der todkranke Sean wird gesund und die Krankenhausrechnungen bezahlt ein Unbekannter. Der örtliche Schläger und Frauenhasser Wes verschwindet überraschend für immer. Eine junge Tote wird zum Leben erweckt, ein säumiger Hypothekenschuldner kann sich von den New Yorker Eliteanwälten befreien. Alles für das Gemeinwohl, nichts für Taft. Allerdings bringt Danger die junge Madison und Taft zusammen. Da Taft ständig redet, ohne jemanden zu sehen, halten ihn alle für verrückt. Bis auf Eli Adams und die im Hospiz lebende 98-jährige Calli.

 

Das Hörspiel

 

Es gibt ungewöhnliche Rollen in diesem Hörspiel. Wir hören den Teufel, seinen Beauftragten und Gehilfen, die sich gelegentlich in Ich-Form einmischen. Die Handlung umfasst ausgewählte Szenen innerhalb der 7 Monate. Alles spielt sich in einem kleinen Ort in Vermont ab. Und am Ende stirbt jemand.

Das Hörspiel ist weit entfernt von schwerer literarischer Kost wie bei Goethe oder Marlowe. Aber es ist auch bei wohlwollender Bewertung kein Krimi. Wenn es nicht an einem Ort spielte, würde man von einem Road-Audio sprechen. Es ist unterhaltsam bis hin zum lauten Lachen und vermittelt wunderbar die Atmosphäre von Land und Leute im ländlichen Nordamerika. Immer mit einem Augenzwinkern, bei dem auch die Ohren wackeln. Zwei Stunden sind auf keinen Fall zu lang, denn es sprudelt über von aberwitzigen Ideen und Geschehnisse. „Verweile doch du bist so schön“. Steht das nicht schon in Goethes Faust? Spannung wird also durch Neugier ersetzt. Der Bearbeitung ist eine hörenswerte und eigenständige Interpretation der Vorlage gelungen. Die sprachlichen Spielchen des Autors Freeman werden glücklicher weise beibeihalten: Taft verärgert zu Dangerfield: „Geh doch zum Teufel“. Da muss sogar Dangerfield lachen.  Neben der klugen Szenengliederung in Kapitel (die es im Buch nicht gibt), sind die Sprecher Garanten des Erfolgs. Den älteren Friedhelm Ptok als Langdon Taft sieht der Hörer förmlich auf der Terrasse sitzen. Hans Harzer als Dangerfield nutzt alle Tonregister für den tödlichen Verführer. Gelegentlich etwas Zuviel des Ganzen. Vielleicht die einzige Schwäche des Hörspiels. Durch manche Überzeichnung (Anwalt, Gehilfen von Danger) geht etwas von Freemans Anliegen verloren. Das Absurde ist Teil der Wirklichkeit und der Gegenwart. Steffen Scheunemann dagegen ist der ruhende Pol der Story und trifft immer den richtigen Ton. Zum guten Ton gehört auch die passende Musik. Die stimmige, ungemein abwechslungsreiche Country-Musik verführt den Hörer in bekannte Filme und Melodien. Jede Szene hat ihre eigene,verführerische Klangwelt, die man laut mal, mal leise ist. Die Story ist vielleicht eine schlitzohrige Interpretation des Faust-Themas, aber eher eine Liebeserklärung an Land und Leute.

 

 

Fazit

 

Keine leichte Kost. Viel Monolog, viel Dialoge, überschaubare Handlung. Eigenwillige Spannung. Aber meisterhaft inszeniert lädt das Hörspiel zum „Nach“-Denken ein. Sven Stricker kann deutlich mehr als nur Sörensen.

 

Wertung 90 %

 

Dauer 2 Episoden zu insges. 110 Min.

 

 

Verfügbarkeit

 

ARD Audiothek

 

 

Hitze – Ein Psycho-Pubertätsthriller

 

Buchcover

Das Buch Hitze (La Chaleur) des 25-jährigen Franzosen Victor Jestin hat 2021 Furore gemacht. Da schreibt doch ein junger Mensch einen Roman über die hippe, weltoffene Generation nach Z (zur Erinnerung Z=1995-2010) und es kommen lauter schwer-und wankelmütige Szenen über das Leben in der Pubertät vor. Das alles auch noch spannend. Da werden Leser jeden Alters neugierig. Das Schauspiel Stuttgart hat bereits eine Theaterversion im Angebot. Der NDR hat sich im Feb. 2024 an eine Hörspielbearbeitung dieses kurzen Romans (160 S.) gewagt und sich dabei die Mitarbeit von Sven Stricker gesichert.

 

Inhalt

 

Frankreich, Atlantikküste. Nicht nur Franzosen kennen diese riesigen Campingplätze am Meer mit viel Remmidemmi, tosenden Wellen, endlosen Stränden und überhaupt Abenteuer. Der 17-jährige Léonard ist mit seinen Eltern und seiner kleinen Schwester dort in den Ferien. Er setzt sich ab und tummelt sich von morgens bis abends bei den Gleichaltrigen, immer auf der Suche nach einem Abenteuer mit oder ohne Sex. Verkatert findet er sich eines Morgens in der Nähe des Kettenkarussells. Dort sieht er Oscar. Gestern Abend hat Oscar noch mit Luce rumgemacht, auf die auch Leonard scharf ist. Jetzt hängt Oscar betrunken in den Seilen des Kettenkarussells und kämpft mit dem Leben. Léonard schaut zu. Hilft nicht. Er sieht Oscar beim Sterben zu. Verdrängt und begibt sich wieder in den üblichen Tagesablauf. Redet mit Luis, der endlich seinen ersten echten Sex haben will. Nähert sich zaghaft Luce an. Hatte sie was mit Oscar? Sie ist lieb und zärtlich zu ihm, mehr aber auch nicht. Sein Gewissen meldet sich mehr und mehr. Und das alles in einer atemberaubenden Hitze, die jede Energie nimmt. Für den Abend ist ein reinigendes Gewitter angesagt. Am nächsten Morgen reist seine Familie wieder in den Alltag nach Hause. Aber es kommt alles anders.

 

Das Hörspiel

 

Buch und Hörspiel verraten den Plot gleich zu Beginn: “Oscar ist tot“. Mit diesem Satz von Léonard folgt der Hörer ihm und seinen inneren Monologen einen Tag und eine Nacht hindurch. Es ist ein eher leises, ruhiges Kammerspiel. Die Jugendlichen, die ihm begegnen, haben so gar nichts gemein mit den hippen, coolen Typen aus der Instagram- und Tiktok-Welt. Sie sind auf der Suche nach sich selbst, nach Abenteuer, Sex oder Zärtlichkeit. Voller innerer Hitze. Luce, die zärtlich distanziert zu Léonard ist, ohne zu ahnen, was mit Oscar geschehen ist. Luis, der endlich mal „richtigen“ Sex haben möchte und Zoe, die Sphinx, die irritiert. Und dann gibt es das weite unendliche Meer als Symbol und die Hitze, von der Léonard nicht weiß, ob die innere stärker als die äußere ist. Die Textvorlage ist sorgfältig austariert, ohne platten Jargon. Dieses Hörspiel passt in kein Schema. Die Spannung entsteht, weil der Hörer eine Stunde lang immer neugieriger wird, wie es ausgeht, weil wir ja den Tod schon kennen. Und es kommt völlig anders als erwartet, das darf ruhig verraten werden. Es ist ein eher düsteres Bild dieser adolenten Jugend. Aber nachvollziehbar und wunderbar inszeniert. Jeder Hörer weiß aus Erfahrung, wie schwer es ist, junge Stimmen zu besetzen. Hier ist dem Team ein Geniestreich gelungen. Die Stimmen sind sicher und selbstbewusst, sie können sarkastisch sein und liebevoll. Jede Figur ist glaubhaft, für manchen Hörer eine Reise in die eigene Vergangenheit. Die Geräuschkulisse ist vorsichtig eingesetzt. Wind, Wellen, Partylärm oder Lautsprecheransagen bleiben leise im Hintergrund. Die Musik ist sparsam instrumentiert. Wenige, melodiöse Tonfolgen, die sich sanft wiederholen und den Weg in innere Welten weisen. Manch Rezensent des Buches fühlte sich an den „Fänger im Roggen“ von Salinger erinnert. Das Hörspiel wird sicher polarisieren, weil es nicht klar Stellung bezieht, sondern sehr neutral berichtet und eben auch eigenwillig inszeniert ist. Ein überzeugender Blick in die Innenwelt eines Jugendlichen, der an einen Satz von Ernst Bloch erinnert: „Ich bin, aber ich habe mich nicht. Darum werde ich erst.“

Die Einordnung der Audiothek in die Rubrik „Politthriller“ ist ein absoluter Fehlgriff. Immerhin taucht es auch bei „Coming of age“ auf.

 

 

Fazit

 

Keine leichte Kost. Viel Monolog, viel Dialoge, überschaubare Handlung. Eigenwillige Spannung. Aber meisterhaft inszeniert lädt das Hörspiel zum „Nach“-Denken ein. Sven Stricker kann deutlich mehr als nur Sörensen.

 

Wertung 90 %

 

Dauer ca. 56 Min.

 

 

Verfügbarkeit

 

ARD Audiothek

 

 

Sonntag, 24. März 2024

Mord in fünf Tagen - Ein Hörspielwerkstatt - Podcast

 


 

Der Bayerische Rundfunk erfreut seine Hörer nicht nur mit Holmes-Klassikern aus den 1960-er Jahren, sondern wagt auch Experimente. Im Jan. 2024 veröffentlicht BR2 einen fünfteiligen Podcast, in dem zwei angesagte junge Autoren sich der Challenge stellen, innerhalb von 5 Tagen ein Kriminalhörspiel im Retro-Stil zu produzieren. Die beiden haben keine Ahnung von Nichts und dürfen künstliche Intelligenz und Experten zu Rate ziehen. 

 

 

Die Episoden

 

Der Aufgabe stellen sich die Comedian Janina Rook und der BR-Netzexperte Christian Schiffer.

Die Beiden berichten in fünf Episoden über ihr Vorgehen. Die KI (ChatGpt) sitzt am „Katzentisch“ und unterstützt sie. Im Episode 1 holen sie sich Rat beim Wissenschaftler Prof. Stefan Neuhaus. Der hat ein anspruchsvolles Buch über Krimis geschrieben. Allerdings kommen in dem Buch so wichtige Autoren wie Friedrich Glauser oder Patricia Highsmith gar nicht vor. Ebensowenig Hörspiele. In Episode 2 berät der Erfolgsautor Volker Klüpfer (Kluftinger) die Beiden über die großen Linien eines Krimis. Allerdings hat auch Klüpfer noch nie ein Hörspiel geschrieben. In Episode 3 lauschen beide dem speziellen Charme der Retro-Krimis. Für die Feinheiten holen sich beide in Episode 4 Rat bei der Anne M. Keßler. Diese Autorin hat ausgesprochen erfolgreiche Hörspielreihen, allerdings teilweise mit grauenhaften Dialogen geschrieben und noch nie einen Krimi. Episode 5 ist dann eine kleine Generalprobe. Mit Schauspielern, Geräuschemachern und allem, was man für die finale Umsetzung braucht. Episode 6 ist dann das erfolgreich beendete Kriminalhörspiel: Die Blondierung des Todes

 

Die Zielgruppe

 

Der Podcast wendet sich an gut gebildete Jugendliche, die in der Welt der Besserverdiener zu Hause sind. Der Hörer sollte den entsprechenden Slang kennen und nicht an Wort wie flashen oder spicy scheitern. Das Bewertungspotential schwankt zwischen mega, toll und super. Neben diesen Wörtern kommt gleich: Ich. Gefühlte alle zwei Minuten wird über die eigenen Witze gekichert. Aber gelegentlich lassen die Protagonisten dann doch ihre Bildung raushängen.

 

Der Arbeitsprozess

 

Die Idee Neulinge mit Hilfe der künstlichen Intelligenz ein Hörspiel schreiben zu lassen, ist erstmal packend und lehrreich. Dabei gelingt es dem Team überzeugend, die Grenzen und Stärken der KI für diesen Zweck zu vermitteln. Ein wichtiger Denkanstoß. Ianina ist eher skeptisch und Christian optimistisch. Einen künstlich erzeugten Freddy Mercury lehnt Ianina vehement ab. Der Hörer bekommt insgesamt ein glaubwürdiges Bild von der Produktion eines Hörspiels. Leider ist die Auswahl der Experten nur Staffage. Jeder der vielen Hörspiel-Kurse im Netz bietet in kürzerer Zeit mehr und differenziertere Information. Wie die Beiden nun zu ihrem eigentlichen Text kommen, bleibt verborgen. Wie und wann haben sie tatsächlich geschrieben? Haben sie die Arbeit geteilt oder über jeden Satz diskutiert? Im Abspann tauchen dann auch noch weitere Autoren auf. Was war ihr Anteil? Die beständige Tiefstapelei hätten die Beiden auch nicht nötig.

 

 

Die Blondierung des Todes

 

Das Hörspiel ist durchwachsen. Es beginnt langatmig, die Figuren sind Klischees. Immerhin ist diese Groteske unterhaltsam und tatsächlich Retro. Die Handlung ist okay, immer wieder neue Ideen und Twists. Die Idee eines Livestreams der Mordermittlungen per Internet oder die Telefonate mit dem Assistenten sind einfallsreich. Eine Rückblende fängt die jugendliche Euphorie um Freddy Mercury in München glaubhaft ein. Der starke bayerische Einklang wird es den Nordlichtern unter den Hörern schwer machen. Auch der junge Hörer wird nicht jeden Gag witzig finden. Professionelle Arbeit hört sich dann doch anders an.

 

Fazit

 

Podcast und Hörspiel wenden sich an eine kleine Community gutwilliger Zuhörer. Ob der BR damit diese Zielgruppe auch berührt, sei dahingestellt. Als Experiment okay, aber auch nicht mehr.  

 

Wertung 65  %

 

Dauer 5 Episoden je 45 Minuten und das Hörspiel mit 55 Minuten

 

 

Verfügbarkeit

 

ARD Audiothek und bei den gängigen Podcastdiensten

 

 

Sonntag, 17. März 2024

Toxisches Karma - Ein Krimi über die Esoterik-Szene

 

Das Autorenehepaar Hübner/Nemetz gehört zu den erfolgreichsten Theaterautoren der Gegenwart. Einer Öffentlichkeit sind sie durch die Verfilmung von: „Frau Müller muss weg“ bekannt geworden. Allerdings haben die Beiden bereits 2019 ein erstes Kriminalhörspiel veröffentlicht. „Furor“ basierte auf dem gleichnamigen Theaterstück. Im Jan. 24 ist nun ihr neuestes Werk vom Deutschlandradio vorgestellt worden. Regie führt der Routinier Ulrich Lampen.

 

 

Inhalt

 

Tobias gerät in Panik. Seit Stunden wartet er auf seinen schwer asthmakranken Sohn Finn. Keiner geht ans Handy. Finn durfte heute bei seiner Mutter Annika und ihrem neuen Lebenspartner Mike sein. Am späten Abend dann der Anruf. Annika und Mike haben Finn zu einem Heiler gebracht. Während einer Kur soll den wahren Ursachen seiner Krankheit auf den Grund gegangen werden. Tobias ist skeptisch, aber um das gemeinsame Sorgerecht nicht zu gefährden, lässt er die Beiden gewähren, ohne zu wissen, wo sich Finn aufhält.  Ein Telefonat mit Finn bricht dieser nach kurzer Zeit ab, weil die Strahlen zu gefährlich seien. Annika klagt über die Gefahr von Big Pharma und schwört auf Klangschalen und Selbstheilung. Tobias recherchiert den „Kurort“ und reist hin. Dort kommt es beinahe zu einer handfesten Auseinandersetzung mit Mike. Der lässt ihn nicht zu Finn. Tobias schaltet die Polizei und das Jugendamt ein. Die wiegeln ab. Wird schon nichts Schlimmes sein. „Warten sie ab“. Doch die Horrorvorstellung wird Wahrheit. Mike und Annika setzen sich mit Finn nach Lateinamerika ab. Gegen jeden Rat begibt sich Tobias dorthin, um Finn zurückzuholen, denn am Ende wird ja alles gut. Nichts wird am gefährlichen, filmreifen Ende gut.

 

Das Hörspiel

 

Das Hörspiel braucht eine Weile, um Tempo aufzunehmen. Die ersten 30 Minuten sind Telefonate zwischen Tobias und Annika, seiner Mutter, Finn. Der Hörer hat Zeit, sich an die Hauptpersonen klanglich zu gewöhnen, bevor neue Figuren und neue Spielorte, die Handlung vorantreiben. Seine Mutter bietet Tobias Rat. Den braucht er, aber nicht von ihr. Sein Fußballkumpan Winfried ist da besser geeignet. Das brandaktuelle Thema Kindesentführung durch enge Verwandtschaft wird hier unterhaltsam, eigentlich filmreif, umgesetzt. Den Dialogen hört man an, dass die Autoren vom Theater kommen, aber immer auch einen Film vor Augen haben. Die Figuren wirken und sprechen lebensecht. Sie haben Schwächen und Macken. Das Behörden wenig hilfreich sind, wird nicht verschwiegen. Tempo und Spielorte garantieren fortgesetzte Spannung. Da gibt es esoterische Klangschalen, ein unheilvolles Video auf TV-Online und eine Kindesübergabe in der argentinischen Pampa. Auch wenn der Hörer von Beginn an auf Tobias Seite steht, behält das Hörspiel eher eine neutral erzählende Position bei. Den Autoren ist es offensichtlich ein Anliegen darzustellen, wie schwierig das Reden der Menschen untereinander ist. Wünschen und Wahrheiten auseinanderzuhalten. Das Hörspiel hat am Ende zwei dramatische Situationen. Die Spannende ist nicht gelungen und hoffnungslos überzogen. Zu viel Fernsehen. Die zweite Situation ist kurz und nüchtern, aber herzzerreißend.

 

 

Fazit

 

Den Autoren wird häufig vorgehalten, sie seien old-fashioned. Aber dies erklärt auch ihren Erfolg. Ein spannendes, unterhaltsames Hörspiel voller aktueller Bezüge mit brillanten Dialogen und viel Pep. Da muss nicht jede Hauptfigur tiefenpsychologisch charakterisiert werden.

 

Wertung 85 %

 

Dauer ca. 56 Min.

 

 

Verfügbarkeit

 

ARD Audiothek

 

 

Mord in der Motzstrasse – Piefke in Berlin


 

 

Seit Mai 2022 veröffentlicht Maritim eine Episodenreihe um den abgehalfterten, ehemaligen Polizisten Piefke, der im Berlin der 1920-er Jahre als private eye ermittelt. Die Reihe hat den Anspruch, einen spannenden Kriminalfall zu präsentieren und zugleich Kenntnisse über das Berlin dieser schwierigen Zeit zu vermitteln. Im November 2023 ist nun Episode 10 erschienen. 

 

 

Inhalt

 

Im Zentrum Berlins, in der Motzstrasse, wird Alexander Mutsch, ein junger Transvestit, offensichtlich ermordet aufgefunden. Er lag im Hinterhof des international berühmten Transvestitentempels Elysium. Der Kommissar Kronberger fürchtet einen öffentlichen Skandal und bittet Piefke um vertrauliche Ermittlungen. Wie üblich schaltet Piefke die junge Reporterin Anna Wagner zur Unterstützung ein. Noch am gleichen Abend stürzen sich die Beiden ins Getümmel des Elysiums. Anna erweist sich als extrem hilfreich. Sie scheint viele Gäste zu kennen und verwickelt sie in neugierige Gespräche. Selbst den Besitzer kennt sie. Er lädt sie zu sich ins Büro ein. Ja, Alexander Mutsch war nicht nur Gast, sondern auch ein Künstler, der im Elysium noch eine große Zukunft vor sich habe. Er kann singen und tanzen wie nur wenige. Anna stutzt. Hatten nicht gerade einige Gäste gesagt, dass Alexander auf der Bühne eher schlecht war? Die beiden fassen zusammen: Viel Information, aber nichts Hilfreiches. Sie beschließen, sich in der Nacht einschließen zu lassen und das Büro des Chefs genauer unter die Lupe zu nehmen. Sie werden fündig: Hinter einer Wand befindet sich ein SM-Studio!! Was hat das zu bedeuten? Am nächsten Morgen erfahren sie von einem befreundeten Reporter, dass ganz in der Nähe des Elysiums ein Geheimbund seinen Sitz hat. Der Bund will Deutschland von unreinen Menschen wie Homosexuellen und Transvestiten befreien. Allerdings ist sein Chef Stammgast im Elysium. Der Polizeiauftrag erweist sich für Anna und Piefke als lebensgefährlich.

 

Das Hörspiel

 

Das Hörspiel fängt die 1920-er Jahre in Berlin so ein, wie es seit einiger Zeit in Film und Fernsehen präsentiert wird: Lasziv, alternativ und leichtlebig. Ein wenig obskur mit Geheimbünden und Gilden, die akustisch wunderschön gelingen. Im Mittelpunkt der Handlung steht zu Recht das Elysium mit seinen eigenwilligen Menschen. Piefke und Anna sind ein ruhiges, sympathisches Ermittlerteam, das sich schätzt und frotzelt. Dem Hörer kann der Handlung gut folgen, ihm bieten sich viele Möglichkeiten, einen Täter zu finden. Das Hörspiel ist nicht direkt spannend. Es wird die Neugier geweckt, warum Alexander ermordet wurde. Ein Erzähler begleitet durch die Handlung. Immer wieder gibt es Einschübe, die dem Hörer die 1930-er Jahre nahebringen: Zum Beispiel wurde Alexander 1920 als Puppenjunge bezeichnet. Das ist informativ und lehrreich, aber solche Belehrungen stören den Handlungs-und Spannungsbogen. Der ist sowieso heikel, weil die Ermittlungen letztlich nur durch überraschende Zusatzinformanten vorangetrieben werden können. Was der gemeine Krimihörer nicht liebt. Dafür ist das Hörspiel ein wenig politisch und macht auf die Gefahren verbohrter Systemgegner aufmerksam.

 

 

Fazit

 

Das Hörspiel ist vor allem durch sein Setting in der verruchten Berliner Halbwelt zu genießen.  Das glaubwürdige sympathische Ermittlerteam wird wohl trotz Schwächen im Plot noch einige Abenteuer erleben.  Die historische Belehrung würde wohl kein Hörer vermissen.

 

Wertung 70 %

 

Dauer ca. 54 Min.

 

 

Verfügbarkeit

 

https://www.amazon.de/Folge-10-Motzstra%C3%9Fe-Piefke-Gestatten/dp/B0CP2BKX6H

 

oder den gängigen Streaming-Diensten

 

 

 


Mittwoch, 6. März 2024

Mord zu fünft – Kai Magnus Sting in Topform

 


Der unverwechselbare Kai Magnus Sting schlägt wieder zu. Im Jan. 2024 stellt der WDR die 2022 produzierte Sendung in der Audiothek zur Verfügung. Neu ist die wiederum hochkarätige Besetzung mit dem Tatort Kommissar Dietmar Bär, der Polt-Partnerin Gisela Schneeberger, dem charaktervollen Sprecher Felix von Manteuffel (Radio Tatort Hessen) sowie vielen anderen Prominenten. Neu ist die Hauptabteilung ABS des Kommissar Brahms: Abseitiges, Bösen, Skurriles. Das sagt schon viel über die Handlung aus.

 

 

Inhalt

 

Ein offensichtlich ertrunkener Toter sitzt nackt auf einer Tanne. Kopflos. Klare Sache: Ein Fall für ABS. Genauer gesagt für Kommissar Brahms, denn er ist allein. Kein großes Ding für ihn: „Sowas löse ich zwischen Kakao mit Schuss und Zigarette in der Badewanne“. Allerdings hat auch Brahms seine Probleme. Die diskutiert er mit der Psychologin Frau Dr. Konstantin. Gemeinsam erörtern sie schon mal, warum und wie gemordet wird. Aber der Pathologe Mahler kann helfen. Auf dem Arm des Toten findet sich der Name Josefine als Tattoo. Bald darauf meldet sich dann auch die Ehefrau des Toten. Aber Mahler weiß noch mehr. Der Körper des Toten enthielt Chlor. Der Mann war baden. Und Mahler weiß auch schon wo. Er hat Überwachungskameras der Schwimmbäder analysiert und den Toten ins Schwimmbad hinein-aber nicht hinausgehen. sehen. Dafür 5 Menschen mit einem roten Jutebeutel!! Kommt diesen Beuteln eine tragende Rolle zu? Die Befragung der Nachbarn ist nicht ergiebig. Der Tote war ein Kotzbrocken und alle wünschten ihm den Tod an den Hals. Offenbar liebte der Tote Frauenkleider und hielt sich gerne in entsprechenden Lokalitäten auf. Auch nichts. Aber in kurzer Zeit gibt es noch mehr absurde Morde. Keine Zusammenhänge, aber es waren alles Männer. Doch der unnachgiebige Brahms findet eine hoffnungsvolle Spur und es kommt im vornehmen Grand Hotel zu einem spannend-absurden Showdown.

 

 

Das Hörspiel

 

Kai Magnus Sting bietet vor allem das, was der Hörer erwartet. Überbordender Sprachwitz, geniale Formulierungen, reichlich Skurriles und Absurdes. Diesmal in einer zügig inszenierten, durchaus spannenden Handlung. Schließlich bleiben die Täter bis zum Schluss offen. Es ist also auch ein grundsolider Ermittlerkrimi. Dass der Titel andeutet, es müssen 5 Täter sein, macht es nicht einfacher. Sting nimmt alles und jeden auf die Schippe, im Minutentakt. Der Pathologe Mahler betreibt auch die Kantine. Seine Chefin Dr. Curtius legt mitten in einer heißen Verfolgungsjagd Wert auf Mettbrötchen. Natürlich mit Zwiebeln. Und Sting schaut dem Menschen, vornehmlich den Rheinländer aufs Maul, und der Hörer erkennt die vielen sprachlichen absurd-alltäglichen Ungereimtheiten. Und ihm gelingt es dennoch lehrreiche Weisheiten für jedermann zu vermitteln: „Die Leichtigkeit in der Schwere finden“. Wem hilft das nicht?

Das alles wird zügig, naturgemäß dialoglastig, erzählt, ergänzt durch innere Monologe des Kommissar Brahms. Die musikalische Begleit-und Hintergrundmusik ist eher jazzig, als Sound gelegentlich experimentell. Den vom Fernsehen bekannten Sprechern sind die Rollen wie auf den Leib geschrieben. Besser geht es kaum. Der Hörer wird das altbekannte Dreier-Team Friedrichsberg, Dahl, Straaten nicht vermissen. Bei allem Klamauk stecken aber doch ein paar Weisheiten in diesem Kunstwerk: Eine Mahnung mit Sprache präzise zu sein, das Undenkbare zu denken und sich Selber nichts so ernst zu nehmen.

 

 

Fazit

 

Eine Hörfreude ersten Ranges, über den sich Ohr und Hirn freuen. Auch für Sting-Skeptiker des Lauschens wert, weil es einfach ein guter Krimi ist.

 

Wertung 90 %

 

Dauer ca. 53 Min.


Verfügbarkeit

 

 ARD Audiothek

 

 

 

Sonntag, 3. März 2024

Ein neues Wallace-Hörspiel von Kopfkino Audio

 


 

Der neue Verlag Kopfkino Audio wagt sich mit einer Erstproduktion im Jan. 2024 auf den kleinen Markt der Wallace-Liebhaber. Die kurzen Romane waren immer spannend und voller Action, aber nicht jedermanns Geschmack. Populär wurden daher vor allem seine Fernsehverfilmungen mit prominenten Schauspielern. Der Anbieter verspricht „bekannte Stimmen, spannende Geräusche und einen orchestralen Soundtrack“. Geheimagent Nr. 6 ist die erste Hörspielumsetzung dieses Romans (Original: Number six) aus dem Jahr 1933.

 

 

Inhalt

 

Der vermögende Finanzmakler und Betrüger Cäsar Valentine hat ein Problem. Gerade hat er den reichen Investor Reynold um etliche Millionen betrogen und ihn um die Ecke gebracht, nachdem er renitent wurde. Nach 5 Morden sitzt Cäsar die englische Polizei im Nacken und er flieht mit seinem grobschlächtigen Beschützer Briggs nach Hamburg. Dort hat er schon vor einiger Zeit in einen Nachtclub investiert und ein Verhältnis mit der Co-Eigentümerin Lydia O´Toole begonnen. Aber Inspektor Halet von der Kripo London gibt nicht auf und setzt sein bestes Pferd im Stall in Hamburg ein: Geheimagent Nr. 6. Lydia stellt bei einem Barbesuch von Cäsar den Kontakt zu einem vertrauenswürdigen Mr. Smith her.  Bei dem Gespräch werden beide von einem Unbekannten beobachtet.  Nach kurzer Verfolgung gibt dieser sich als Mr. Granger von der Londoner Kripo zu erkennen und wird in der Speicherstadt als Vertrauensbeweis von Smith erschossen und in die Elbe geworfen. Nun geht Cäsar den nächsten Schritt an. Smith soll den Club von Lydia in Brand setzen und er sackt die Versicherungsprämie ein. Doch das geht gründlich schief und Lydia und Smith starten eine aufregende Verfolgungsjagd.

 

 

Das Hörspiel

 

Das Hörspiel bietet actionreiche Handlung, Spannung und viele Überraschungen: Kämpfe im Riesenrad, Verfolgungsjagden mit Roller und Speedboot, etliche Tote und ein Feuerinferno. Demzufolge darf der Hörer eine begeisternde Soundkulisse erwarten. Alles mit viel Tempo inszeniert und von einem Erzähler begleitet. Der Plot ist simpel, aber attraktiv: Wer von den  mitspielenden Personen ist Geheimagent Nr. 6? Die Identität von Geheimagent Nr. 6. bleibt dem Hörer bis zum Schluss ein Rätsel. Der Autor ist sehr frei mit der Buchvorlage umgegangen und hat z.B. die Handlung ins norddeutsche Kleinod Hamburg verlegt. In jedem Fall ein attraktiver Spielort. Offenbar fehlt dem Bearbeiter aber die Erfahrung mit Hörspielen. Ein Dialog wie: „Ich gebe ihnen jetzt das Messser“, „Ich habe jetzt das Messer“ ist eher eine Regieanweisung für das Fernsehen. Gelegentlich driftet der Text auch ins Ordinäre ab. Mit einer Laufzeit von 37 Minuten begibt sich die Produktion in riskante Hörergewohnheiten. Da ist zu wenig für den durchschnittlichen Hin-und Rückweg zur Arbeit. Da Nr. 6 unerkannt bleibt, sind Cäsar Valentine und die Barbesitzerin die Hauptpersonen. Die Sprecher verleihen ihnen Lebensnähe, sowie die Bissigkeit und Entschlußfreude, die sie benötigen. Die Sprecher sind bekannt, aber nicht unbedingt Bundesliga. Auch ist der orchestrale Sound vorhanden. Er steigert in den kurzen Übergängen die Spannung. Die Handlung darf der Hörer nicht zu kleinlich bewerten. Wie immer bei Wallace ist nicht alles logisch oder folgerichtig, dafür aber eben spannend. Das Hörspiel wird für Hörer ab 12 Jahren empfohlen und ist wohl eher für diese Altersgruppe geeignet.

 

 

Fazit

 

Ein Krimi für Hörer, denen Spannung und Action wichtiger sind als Logik. Attraktiv umgesetzt, aber im Gesamtbild eher für junge Hörer geeignet, die ja vor langer Zeit die Starthilfe für Wallace-Hörspiel waren.

 

 

Wertung 75 %

 

Dauer ca. 37 Min.

 

 

Verfügbarkeit

 

Auf den meisten Streaming-Anbietern https://linktr.ee/kopfkinoaudio?lt_utm_source=lt_share_link#356557594

 

Kopfkino bietet für Sammler eine limitierte Kassetten-Version an; signiert und handnummeriert (50 Exemplare)

 

 

 

Bomber – Ein Radio Tatort mit Fehlzündung

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