Sonntag, 31. März 2024

Hitze – Ein Psycho-Pubertätsthriller

 

Buchcover

Das Buch Hitze (La Chaleur) des 25-jährigen Franzosen Victor Jestin hat 2021 Furore gemacht. Da schreibt doch ein junger Mensch einen Roman über die hippe, weltoffene Generation nach Z (zur Erinnerung Z=1995-2010) und es kommen lauter schwer-und wankelmütige Szenen über das Leben in der Pubertät vor. Das alles auch noch spannend. Da werden Leser jeden Alters neugierig. Das Schauspiel Stuttgart hat bereits eine Theaterversion im Angebot. Der NDR hat sich im Feb. 2024 an eine Hörspielbearbeitung dieses kurzen Romans (160 S.) gewagt und sich dabei die Mitarbeit von Sven Stricker gesichert.

 

Inhalt

 

Frankreich, Atlantikküste. Nicht nur Franzosen kennen diese riesigen Campingplätze am Meer mit viel Remmidemmi, tosenden Wellen, endlosen Stränden und überhaupt Abenteuer. Der 17-jährige Léonard ist mit seinen Eltern und seiner kleinen Schwester dort in den Ferien. Er setzt sich ab und tummelt sich von morgens bis abends bei den Gleichaltrigen, immer auf der Suche nach einem Abenteuer mit oder ohne Sex. Verkatert findet er sich eines Morgens in der Nähe des Kettenkarussells. Dort sieht er Oscar. Gestern Abend hat Oscar noch mit Luce rumgemacht, auf die auch Leonard scharf ist. Jetzt hängt Oscar betrunken in den Seilen des Kettenkarussells und kämpft mit dem Leben. Léonard schaut zu. Hilft nicht. Er sieht Oscar beim Sterben zu. Verdrängt und begibt sich wieder in den üblichen Tagesablauf. Redet mit Luis, der endlich seinen ersten echten Sex haben will. Nähert sich zaghaft Luce an. Hatte sie was mit Oscar? Sie ist lieb und zärtlich zu ihm, mehr aber auch nicht. Sein Gewissen meldet sich mehr und mehr. Und das alles in einer atemberaubenden Hitze, die jede Energie nimmt. Für den Abend ist ein reinigendes Gewitter angesagt. Am nächsten Morgen reist seine Familie wieder in den Alltag nach Hause. Aber es kommt alles anders.

 

Das Hörspiel

 

Buch und Hörspiel verraten den Plot gleich zu Beginn: “Oscar ist tot“. Mit diesem Satz von Léonard folgt der Hörer ihm und seinen inneren Monologen einen Tag und eine Nacht hindurch. Es ist ein eher leises, ruhiges Kammerspiel. Die Jugendlichen, die ihm begegnen, haben so gar nichts gemein mit den hippen, coolen Typen aus der Instagram- und Tiktok-Welt. Sie sind auf der Suche nach sich selbst, nach Abenteuer, Sex oder Zärtlichkeit. Voller innerer Hitze. Luce, die zärtlich distanziert zu Léonard ist, ohne zu ahnen, was mit Oscar geschehen ist. Luis, der endlich mal „richtigen“ Sex haben möchte und Zoe, die Sphinx, die irritiert. Und dann gibt es das weite unendliche Meer als Symbol und die Hitze, von der Léonard nicht weiß, ob die innere stärker als die äußere ist. Die Textvorlage ist sorgfältig austariert, ohne platten Jargon. Dieses Hörspiel passt in kein Schema. Die Spannung entsteht, weil der Hörer eine Stunde lang immer neugieriger wird, wie es ausgeht, weil wir ja den Tod schon kennen. Und es kommt völlig anders als erwartet, das darf ruhig verraten werden. Es ist ein eher düsteres Bild dieser adolenten Jugend. Aber nachvollziehbar und wunderbar inszeniert. Jeder Hörer weiß aus Erfahrung, wie schwer es ist, junge Stimmen zu besetzen. Hier ist dem Team ein Geniestreich gelungen. Die Stimmen sind sicher und selbstbewusst, sie können sarkastisch sein und liebevoll. Jede Figur ist glaubhaft, für manchen Hörer eine Reise in die eigene Vergangenheit. Die Geräuschkulisse ist vorsichtig eingesetzt. Wind, Wellen, Partylärm oder Lautsprecheransagen bleiben leise im Hintergrund. Die Musik ist sparsam instrumentiert. Wenige, melodiöse Tonfolgen, die sich sanft wiederholen und den Weg in innere Welten weisen. Manch Rezensent des Buches fühlte sich an den „Fänger im Roggen“ von Salinger erinnert. Das Hörspiel wird sicher polarisieren, weil es nicht klar Stellung bezieht, sondern sehr neutral berichtet und eben auch eigenwillig inszeniert ist. Ein überzeugender Blick in die Innenwelt eines Jugendlichen, der an einen Satz von Ernst Bloch erinnert: „Ich bin, aber ich habe mich nicht. Darum werde ich erst.“

Die Einordnung der Audiothek in die Rubrik „Politthriller“ ist ein absoluter Fehlgriff. Immerhin taucht es auch bei „Coming of age“ auf.

 

 

Fazit

 

Keine leichte Kost. Viel Monolog, viel Dialoge, überschaubare Handlung. Eigenwillige Spannung. Aber meisterhaft inszeniert lädt das Hörspiel zum „Nach“-Denken ein. Sven Stricker kann deutlich mehr als nur Sörensen.

 

Wertung 90 %

 

Dauer ca. 56 Min.

 

 

Verfügbarkeit

 

ARD Audiothek

 

 

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