Sonntag, 19. Mai 2024

Der Mann mit der entstellten Lippe – Die Version von Hermann Media

 


Der Erfolg von Sir Henri Conan Doyle mit seiner Figur Sherlock Holmes ist ein generationsübergreifendes Phänomen. Das gilt für Buch, Film/Fernsehen und Hörspiel. Obwohl die Stories fast hundert Jahre auf dem Buckel haben, stehen uralte Hörspiele regelmäßig in den Charts der ARD Audiothek auf den Spitzenplätzen. Aber auch der kommerzielle Markt ist nicht gesättigt. 2023 sind bei Maritim in den Chronicles (104) und bei Holysoft Legends (21) und Hermann Media Classics (April 24) Hörspiele zu dem Mann mit der entstellten Lippe erschienen. Holysoft und Hermann Media haben den Ehrgeiz den kompletten Kanon einzuspielen

 

Inhalt

 

Im Hause Watson klingelt es spätabends. Eine Freundin von Mary bittet dringend um Hilfe: Ihr Mann wird seit zwei Tagen vermisst. Sie vermutet ihn in einer Londoner Opiumhöhle. Watson lässt sich nicht lange bitten und begibt sich in die Londoner Unterwelt. Entsprechend verwirrt findet er dort dem Mann vor. Aber nicht nur ihn. Er entdeckt auch noch den verkleideten Sherlock Holmes. Ist der jetzt auch noch dem Opium zugetan? Doch Holmes beruhigt ihn. Er ist dienstlich unterwegs. Auf der Suche nach dem wohlhabenden Neville St. Clair. Seine Frau hat ihn vor wenigen Tagen am Fenster dieser Opiumhöhle gesehen und sofort die Polizei gerufen. Aber Neville war nicht aufzutreiben. Stattdessen fand man Blutspuren, offenbar von einem Kampf. Kurze Zeit später findet die Polizei im nahegelegenen Fluss die Kleidung von Neville. In der Tasche ein Berg von Kupfermünzen. Die Gäste der Opiumhöhle waren zugedröhnt und haben nichts mitbekommen. Der einzige Verdächtige ist der stadtbekannte, heruntergekommene Bettler mit der schiefen Lippe. Er wird vorläufig festgenommen. Holmes und Watson aber machen sich im stattlichen Anwesen des Neville St. Clair auf Spurensuche. Dort findet Holmes einen möglichen Schlüssel zum Verbrechen. Aber dazu muss er den Bettler befragen.

 

Das Hörspiel

 

Über die Handlung sollte man den Mantel des Schweigens decken. Aus moderner Sicht sind diese kurzen Geschichten eher abseitig und wenig realistisch. Aber sie bieten eine tolle Szenerie für Hörspiel und Film: Zwei kluge, sympathische Ermittler; die Atmosphäre des alten Englands und den Reiz des immer unerwarteten Plots. Diese Fassung verzichtet auf jede Art von Modernisierung ohne angestaubt zu klingen. Da klappern schon mal die Pferdehufen. Sie orientiert sich sehr stark an der Vorlage, die vom Autor Ascan von Bergen übersetzt und adaptiert wurde. Das bedeutet natürlich, dass die Story aus der Sicht von Watson erzählt wird. Die Szenenfolge ist geschickt, das Tempo angemessen. Mit Opiumhöhle, Herrenhaus und Gefängnis gibt es hörenswerte Klangkulissen. Das alles wird mit einer filmreifen orchestralen Musik hinterlegt, die dem Ganzen zusätzliche Spannung gibt. Das A und O einer Dauerserie sind natürlichen die Sprecher. Der vielstimmige Tim Gössler spricht einen eher jungen Holmes, Marc Schülert den älteren Ratgeber. Beide machen es sehr gut und haben Dauerliebhaber verdient. Die Nebenrollen sind etwas übertrieben, die Frauenstimmen wie so oft etwas quietschig.

Auf jeden Fall ein Hörspiel, welches sehr gut neben den berühmten Fassungen bestehen kann.

 

Die Anderen

 

Die Fassung von Holysoft (Legends 12) ist länger und deutlich weniger opulent, wenig Musik, sparsame Geräuschkulisse. Auch hier spielt die Geschichte im guten alten England. Allerdings tritt hier Watson nicht als Erzähler auf. Holmes und Watson ergänzen wichtige Inhalte in der Ich-Form. Zugleich bemüht sich diese Version darum, manche sehr knapp gehaltenen Szenen des Originals anschaulicher zu beschreiben und die deduktive Komponente von Holmes auszuschmücken. Dies führt leider zu einigen Längen. Die Stimmen von Watson und Holmes klingen nicht besonders ausgeprägt. Die Nebenrollen allerdings überzeugender. Die Frau von Neville St. Clair ist hier selbstbewusst und stark. Lestrade spielt eine nicht vorhandene Nebenrolle im Text.

In der Audiothek gibt es eine legendäre(kürzere) Fassung von 1963 mit Peter Pasetti unter dem Titel „Der Mann mit der Hasenscharte“ mit einem sehr selbstsicheren Watson. Hörenswert ist auch die Musik von Peter Zwetkoff, die sich eng am Text orientiert. Wenn der Malaie auftritt, klingt es schon asiatisch.

 

Wertung 75 %

 

Dauer ca. 45 Min.

 

Verfügbarkeit

 

Die Version von Hermann Media

 


Die Version von Holysoft:

 


 

 

 

 

Keiner weiss – Ein Psycho-Krimi

 


Nach mehreren Anläufen hat es das Hörspiel von Susanne Mewe doch noch in die Audiothek (April 24) geschafft. Es fällt jedenfalls aus dem Rahmen. Die Laufzeit beträgt gute 69 Minuten und es gibt nur zwei Rollen und eine Erzählerin. Da muss Autorin und Regie schon was einfallen, um die Hörer bei der Stange zu halten.

 

Inhalt

 

Marc fährt den langen Weg von der Arbeit nach Hause. Er hat noch einen Termin bei der Erzieherin seines Sohnes. Diese Erzieherin ist beliebt und bei den Eltern geschätzt, weil sie ihren Job mit viel Herzblut ausfüllt. Aber nun dieses Gutachten. Die Erzieherin beschreibt den Sohn als apathisch und teilnahmslos. Das kann so nicht stehenbleiben. Es stimmt nicht und behindert auch den weiteren Werdegang des Kindes. Marc kommt allein. Seine Frau gibt den Sohn bei ihren Eltern ab. Bei Marc und seiner Frau kriselt es in der Ehe. Nach dem Umzug in das neue Haus weitab von Marcs Arbeitsplatz ist das Zusammenleben schwierig. Nun wollen sie an einem Wochenende in einer winterlichen Berghütte wieder zueinander finden. Marcs Frau kennt das Gutachten nicht und weiss auch nichts von dem Termin. Der beginnt heikel. Die Erzieherin muss noch aufräumen und bittet Marc zu warten. Dann klingelt ihr Handy endlos. Marc ist genervt.

Und damit beginnt eine eigene Geschichte. Das Gespräch spitzt sich immer mehr zu. Irgendwann schlägt Marc zu und verletzt die Erzieherin. Sie will ihn anzeigen. Der Dialog von zwei Menschen, die sich körperlich und seelisch verletzten endet unerwartet und dramatisch.

 

Das Hörspiel

 

Eine schlichte Konstellation. Lange Dialoge von zwei Menschen im Besprechungsraum der Kita. Lediglich unterbrochen von einer Erzählerin die etwas Atmosphäre und Hintergrundwissen einbringt. Über das Kind, die Ehefrau und ihre Eltern. Maria Gedeck spricht dies alles ausgesprochen nüchtern und neutral und ist damit der Gegenpol zu den emotionalen Dialogen. Die vorsichtige klavierbetonte Unterlegung unterstützt dies. Der Hörer vernimmt, daß die Ehefrau und ihre Eltern eine eigene, schwierige Vorgeschichte haben. Der Hörer wird überhaupt auf eine komplizierte emotionale Reise geschickt. Die beiden Hauptpersonen klingen anfangs ausgesprochen sympathisch und glaubwürdig. Jede auf ihre Weise. Mit dem Beginn der Verletzungen und Ausbrüche endet jede Sympathie. Der Hörer nimmt an der Entblößung der Hauptpersonen teil. Die Handlung spitzt sich zu, wie die Musik in Ravels Bolero. Es geht um Gewalt gegen Frauen, die für viele Männer noch selbstverständlich ist. Es geht aber auch um Gewalt durch Worte und falsche Bilder, die man von seinem Gegenüber hat. Den Sprechern gelingt es, ihre Rollen lebensecht auszufüllen. Gelegentlich wird der Hörer sich selber entdecken. Durch die vielen unerwarteten Wendungen ist das Hörspiel in keiner Minute langweilig. Und ja, bei aller Psychologie ist es letztlich ein Krimi, dessen Ende den Hörer sprachlos macht.

 

 

 

 

Fazit

 

Dank an den Sender, der den Mut hat, ein solches Hörspiel zu veröffentlichen. Susanne Mewe zeigt, dass es auch in Deutschland Autorinnen gibt, die feine psychologische Kammerspiele schreiben können.  Der Hörer muss sich aber auf dieses Format einlassen.

 

Wertung 85 %

 

Dauer ca. 69 Min.

 

 

Verfügbarkeit

 

ARD Audiothek

Dienstag, 7. Mai 2024

Der Butler – Als echtes Hörspiel wieder entdeckt

 


Winterzeit Audio veröffentlicht im Herbst 2023 das Butler-Hörspiel „Die sieben Aufgaben“ des Autors Andreas Zwengel. Damit knüpfen Verlag und Autor an 4 ältere inszenierte Lesungen mit den Hauptpersonen des Butlers und Lady Marbely des österreichischen Vielschreibers J.J. Preyer an. 

 

Inhalt

 

Lady Amanda Marbely langweilt sich. Die letzten Abenteuer sind schon eine Weile her. Doch ihr Butler James weiß Rat. Er hat früher für den Geheimdienst gearbeitet. Dieser gab ihm den Hinweis, dass in einem weltweit operierenden Verbrechersyndikat „eine Stelle frei wird“. Der Dienst sucht jemanden, der sich einschleusen lässt. Die Lady ist begeistert und macht mit. Als Lady Mystique bastelt man ihre eine überzeugende Verbrechervergangenheit. Auf der Burg Frankenstein im Hessischen kommen alle Bewerber zusammen. Der Syndikatssprecher verkündet strenge Regeln. Aus dem Kreis der Bewerber wird auserwählt, wer die Sieben Aufgaben am Besten bewältigt hat. Und die Aufgaben haben es in sich, sie werden schwerer und gefährlicher. Durch Tod/Mord lichtet sich das Bewerberfeld. Wird die Lady überleben?

 

Das Setting

 

Butler, Lady alles klingt nach dem guten alten England. Tatsächlich sind die beiden aber auf der Nordseeinsel Föhr zu Hause und ermitteln im Hessischen. Der Butler ist der versierte Allrounder, die Lady eine unerschockene, kluge alte Frau. Privates bleibt außen vor. Aber die Beiden frotzeln gerne miteinander. Viele Orte und Geschehnisse gibt es in der Wirklichkeit, gelegentlich finden sich hörenswerte Anleihen bei Sagen und Mythen. Es passiert viel im Hörspiel und es ist kein gemütliches Retro-Stück. Die Handlung spielt eindeutig in der Gegenwart, es gibt Überwachungskameras, Drohnen und jede Menge High-Tech.

 

Das Hörspiel

 

Ein Erzähler begleitet den Hörer und ergänzt die Dialoge des Teams. Entsprechend der Aufgabenstellung nimmt die Spannung immer mehr zu. Neugierig erwartet der Hörer die nächste Aufgabe. Diese Aufgaben sind anspruchsvoll und nicht zum Mitraten, aber Mitfiebern geeignet. Gefährlichkeit und Dramatik nehmen zu, ohne dass dem Hörer gruselig wird. Ein wenig mehr gehörte Action dürfte schon sein. Nicht alles ist schlüssig und logisch, aber gut erzählt. Die leicht ironischen Texte haben einen eingängigen Schreibstil. Diese Fantasie-Welt regt aber eigene Ideen und Spekulationen an. Die ausländischen Bandenchefs haben übertrieben starke Akzente. Die Produktion hat sich die Besonderheiten des Hörspiels ausführlich zu Nutze gemacht. Opulente Musik und adäquate Geräusche begleiten den Hörer durch eine etwas märchenhafte Reise im Hessischen. Die Sprecher sind allesamt vertraute Synchronsprecher mit einprägsamen Stimmen, die leicht überzogen klingen. Das muss man mögen.

Den Streaming-Diensten ist es zu verdanken, dass es wieder eine Art Cover gibt. Die Abbildung deutet an,  wie einfallsreich das Team seine Aufgaben löst.

 

Fazit

 

Solide Hausmannskost für einen entspannten Abend. Das Team ist überzeugend, muss sich aber im Wettbewerb ähnlicher Settings durchsetzen. Die Kombination Föhr, Hessen und Alt-England ist gewöhnungsbedürftig.

 

Wertung 70 %

 

Dauer ca. 52 Min.

 

 

Verfügbarkeit 

 

bei den gängigen Streaming-Diensten

 

Der Mann mit der entstellten Lippe – Die Version von Hermann Media

  Der Erfolg von Sir Henri Conan Doyle mit seiner Figur Sherlock Holmes ist ein generationsübergreifendes Phänomen. Das g...