Sonntag, 28. April 2024

Nase um Nase – Hamm schlägt wieder zu

 

© ARD / Jürgen Frey

 

 

Der späte Winter ist immer dem Hammer Radio-Tartort gewidmet. Im Jahr 2024 bereits mit der 19. Folge. Seit 12 Jahren überzeugt das bewährte Team um Autor Dirk Schmidt, Regisseurin Claudia Johanna Leist mit so überragenden Sprechern wie Uwe Ochsenknecht, Matthias Leja, Söhnke Möhring und die immer wichtiger werdende Christine Prayon.

 

Inhalte

 

Scholz ist auf Kur und kann (oder soll?) nur per Video-Schalte helfen. Immerhin hat er einen Fall: Eine Rentnerin brät einem Obdachlosen im Vorraum der Bank mächtig mit ihrem Rollator einen über. Der gute Mann hatte nichts getan und sie war nüchtern. Wie kann so etwas passieren?

Da schlägt sich das Hammer Team mit einem anderen Kaliber rum. Auf Wunsch es LKA hat sich Ditters in einen Fight-Club einschleusen lassen, weil der Verdacht auf Schutzgelderpressung besteht. Dort geht es knüppelhart zu, aber die gute Ditters steht ihren Mann und findet Hinweise. Bevor sich die Lage zuspitzt, schaltet Ditters das ungeliebte LKA ein und die wollen den Laden hochnehmen. Ditters wird die Verbindungsfrau und hofft heimlich auf Beförderung. Alle sind guter Dinge, nur Latotzke nicht. Sein Näschen sagt, dass etwas faul ist. Oberfaul. Der Einsatz scheitert kläglich. Es gibt Tote und Verletzte. Immerhin klärt Scholz seinen Fall.

 

 

Das Hörspiel

 

 

Das Beste kommt zum Schluss. Lenz:“ Es ist überall so“. Ditters: „Überall“. Der Autor Schmidt erzählt nicht nur Kriminalgeschichten, sondern vermittelt dem Hörer immer auch kluge Lebensweisheiten. Der Einsatz scheitert wegen überzogenem Ehrgeiz von Ditters und Eitelkeit des LKA, das Latotzke nicht ernst nimmt. Das LKA hat die Nase etwas hochgehalten. Die Handlung fordert dem Hörer hohe Konzentration ab, um nicht den Faden zu verlieren. Ein Fight-Club mit Schlägertypen, eine mafiose Pizzeria und der SEK-Einsatz geben eine hörenswerte Tonkulisse ab. 

Der belächelte Scholz klärt seinen Fall am Telefon durch Zuhören und Fragen. Die alte Frau ist schuldig, aber was macht man mit ihr?

Zwischendrin gibt es immer wieder diese wunderbaren Szenen, die so gar nichts zur Handlung beitragen. Wie Ditters den Lenz ermuntert im Team zu bleiben („Die Stadt braucht dich“) oder wie Latotzke den unnachahmlichen Sound einer Guzzi beschreibt. Die alte Dame beendet die Befragung durch Scholz, weil ihre Ratesendung beginnt. So ist das Leben. Es klingt auch alles, als sei es direkt aufgenommen und nicht geschauspielert. In dieser Episode klingt eine veränderte Gruppendynamik durch: Scholz ist eher pro forma Vorgesetzter, Ditters ist ehrgeizig, aber kann und will nicht auf das Team verzichten. Selbstredend.

Der Krimi-Plot ist mässig und der Autor bedient manches Klischee, damit die Hörer ihm sein Ohr leihen.  

 

 

Fazit

 

Team Hamm bietet immer eine eigene Spannung in höchster Qualität. Der Fan-Club kann ruhig noch grösser werden. Sie sind deutlich mehr als nur Looser.

 

Wertung 85 %

 

Dauer 50 Min.

 

 

Verfügbarkeit

 

ARD Audiothek

 

 

Mord im Wüstenexpress – Ein Lauschangriff der Gurkentruppe

 


 

Kai Magnus Sting beglückt den Hörer mal wieder mit 24 Kurzepisoden (je ca. 13 Minuten). Bisher hat Sting schon einige mehrteilige Adventsepisoden veröffentlicht. Daher vermutlich die Zahl, die ungewöhnlich ist und sich in Zeiten der Streaming-Dienste erstmal durchsetzen muss. Für Binge-Listening definitiv ungeeignet. Formal betrachtet ist diese Episodenfolge Teil 6 der Serie: „Tod unter Gurken“ jeweils mit den drei bekannten Gestalten.

 

Inhalt

 

Der Wüstenexpress befährt die Strecke selbstverständlich schon länger als sein berühmter Wettbewerber. Sein Interieur und Komfort sind noch eine Klasse besser. Kein Wunder das sich das Triumvirat Straten, Friedrichsberg und Dahl auf diesem Weg in die Wüste machen. Dort wartet ein Freund von Friedrichsberg, von Beruf Archäologe, darauf, ihnen eine sensationelle Entdeckung zu zeigen. Doch der Weg ist das Ziel. Die drei erwartet eine Unzahl von unerklärlichen Morden, eine bunte Truppe von Menschen aus allen Regionen. Werden sie je ankommen? Und wenn ja, lebend?

Der Hörer muss sich schon bis zum Schluss gedulden.

 

Das Format

 

Das Format ist für Sting nicht ungewöhnlich, wird sich aber in der Streaming-Welt schwertun. Diese Art Kürzest-Hörspiele können extrem erfolgreich sein (z.B. Schreckmümpfeli vom SRF), haben aber meist einen festen Sendeplatz. Die ARD hat sich für eine seltsame Zwischenlösung entschieden. Keine Präsentation im klassischen Rundfunk. Aber jeden Tag eine Episode in der Audiothek. In der Chartliste rangiert der Wüstenexpress jedenfalls weit vorne.

 

Die Präsentation

 

Im Wettbewerb um die Hörergunst geht es nicht nur um das Hören. Dem Team ist es gelungen, jede einzelne Episode mit einem eigenen Bildchen/Icon zu versehen. Immer wieder ein grüner Farbton mit jeweils deutlich erkennbaren Sprecher-Gesichtern und zaghafter Inhaltsandeutung. Der Betrachter und Sammler haben ihre Freude daran.

 

Das Hörspiel

 

Natürlich ist das Hörspiel ausgemachter Nonsens, der vor nichts und niemand Halt macht. Letztlich aber immer mit großer Sympathie und Wärme für die gespielten Rollen und Menschen. Im Sekundentakt überschlagen sich die absurden Ereignisse, der Hörer kann kaum den Wortspielereien und Gags folgen. Nicht alle Gags sind stubenrein. Ein Wahnsinnstempo. 40 Menschen aus aller Welt werden von vier Personen gespielt: Anette Frier, Kai Magnus Sting,Christoph Maria Herbst und Bastian Pastewka. Diese Stimmen, die vielseitige Musik und die passenden Geräuschkulissen (bis hin zum WC) sind Erste Sahne. Die unzählbaren Szenen werden gelegentlich unterbrochen, wenn sich auch noch die Regie hörbar einmischt. Die Episoden folgen der Reiseroute, der Hörer kann immer gut folgen. Der Autor erweist sich mit dieser Groteske wie immer als Kenner der Szene. Unüberhörbar sind die Verweise auf berühmte Detektive und nicht minder berühmte Szenen aus Büchern und Filmen. Nonsens ist per se antiautoritär, weil er alles und jedes in Frage stellt. Keine schlechte Erinnerung in Zeiten, wo jedes Wort, jeder Satz Grabenkämpfe auslösen kann.

 

Wertung 85 %

 

Dauer 24 Episoden je ca. 15 Min

 

 

Verfügbarkeit

 

ARD Audiothek, nicht downloadfähig

 

 


Sonntag, 14. April 2024

Bomber – Ein Radio Tatort mit Fehlzündung

© ARD / Jürgen Frey

 

Nun (Feb. 2024) ist der zweite Fall des NDR mit dem Verdener Extremismus-Team erschienen. Da die erste Episode erst im Nov. 23 veröffentlicht wurde, hat der Hörer die Gelegenheit, sich schnell an das neue Team zu gewöhnen. Und zum Team gehören auch die Regisseurin Soloch, der Musiker Sicker Man und viele andere. Ein Leckerbissen ist die Mitwirkung von Hannelore Hoger, die nur noch selten zu hören und zu sehen ist.

 

 

Inhalt

 

In der Nähe des Dorfes Westerhude explodieren Windräder. In der Mitte von Nirgendwo. Niemand wird verletzt. Aber wie kann so etwas in dieser ländlichen Idylle passieren? Die Wache von Verden/Aller schaltet das Extremismus-Team mit Gina, Jules und Philipp ein. In der Nähe der Windräder liegt ein Hof, in dem so etwas wie eine Alten-WG lebt:“ Champagnerkommunisten mit etwas FDP“. Gehört haben sie was, aber nichts gesehen. Nicht weit entfernt befindet sich eine Art Southfork-Ranch, die von einem illustren Schützenverein betrieben wird. Nachgebaute Amerika-Idylle. Die Spusi kann nur mitteilen, dass schlichte Rohrbomben der Auslöser waren. Wer verwendet denn heute noch Rohrbomben? Die Ermittlungen bleiben in der Hand des Teams. Jules wird hergebeten, um sich bei den Senioren als Pflegerin zu melden. Dort liegt eine der Frauen im Sterben. Die Befragung der Vereinsmitglieder erübrigt sich: Die Ranch explodiert. Und es hört nicht auf. Sind hier Irre am Werk?

 

Das Hörspiel

 

Das Hörspiel beginnt mit einem verstörenden Rückblick in Ginas Kindheit. Der Selbstmord ihrer Eltern in der Haft als Mitglieder der Terrororganisation Rote Brigaden. Dieser Anfang setzt ein Zeichen. Wieder geht es bei der Autorin auch darum, wie man wurde, wer man ist. Einblicke in die Lebensgeschichte von Gina und Philipp. Neben der actionreichen Handlung erlaubt die Story einen Seelenblick in die Senioren-WG und die geistige Verwirrtheit eines abstrusen Vereins. Treffsicher formulierte Dialoge und Action halten sich die Waage. Der Autorin gelingen auch immer wieder bemerkenswerte Bilder: Zum Schluß löst sich die brütende Hitze der vergangenen Tage durch einen Regenguss auf. Zwischen Jules und der pflegebedürftigen Heidelinde entwickelt sich eine wunderschöne, zarte Liebesgeschichte. Außerhalb des LKA-Teams verliert sich aber die Ernsthaftigkeit. Jules und Gina sind hervorragend besetzt. Philipp bleibt immer etwas blass. Bis auf Hannelore Hoger überziehen alle Alten hoffnungslos. So reden alte Menschen nicht und so klingen sie nicht. Das gleiche gilt für den Verein. Leider auch nur Klischee. Die Musik von Sicker Man reisst vieles raus. Mal melodiös, mal experimentell. Immer an der Grenze zwischen Musik und Geräusch. Gelegentlich versetzt uns Sicker Man, in die Filme unserer Jugend (für die Gesetzteren unter den Lesern). Der Sound betont die Handlung und lädt ein zum Gedankenschweifen. Aber letztlich verrennt sich das Hörspiel völlig. Ein Dorf wird dem Erdboden gleich gemacht, es gibt nur zwei Verdächtige: Die Senioren oder der Verein. Obgleich der Ort förmlich in die Luft geht, tauchen nur die drei Ermittler auf. Jules wird als Pflegerin ohne Zögern oder Nachfragen eingestellt. Alles extrem konstruiert. Vielleicht verträgt sich Verden an der Aller doch nicht so gut als Spielort eines Extremismus-Teams. Weniger Klischee, weniger Abseitigkeiten und mehr Sorgfalt beim Plot lassen noch Verbesserungen zu.

 

Fazit

 

 

Die Konstruktionsmängel nehmen trotz reichlich Action, passendem Sound und nachdenklichen Dialogen, die Freude am Hören. Der Hörer fragt sich: War das nun ein Krimi oder eine Groteske?

 

Wertung 65 %

 

Dauer ca. 52 Min.

 

 

Verfügbarkeit

 

ARD Audiothek

 

 

Samstag, 6. April 2024

24 - 7 – Reinfall statt Einfall


 

Was hat ein twenty-four-hour-shop mit einem Hörspiel zu tun? Viel, wenn ein Internetfreak auf der Suche nach Scoops, Privates in die Öffentlichkeit zieht. Ein Thema also das Neugier und Besorgnis weckt. Der Mitautor Martin Ganteföhr hat schon durch seine Mitwirkung beim Hörspiel 39 bewiesen, dass er etwas von mobile devices versteht.

 

 

Inhalte

 

Benjamin Rohde betreibt außerordentlich erfolgreich die Audio-Live-App Scoops. Immer live bei geilen Events dabei. Keine Bilder, nur O-Töne und Benjamins Kommentare. Der finanzielle Einstieg ist ihm leichtgefallen. Seine Mutter ist Hanna Rohde, eine echte Größe in der Medienwelt. Die feiert heute Abend einen runden Geburtstag mit Tausenden von Gästen in einem mondänen Luxushotel. Darüber live zu berichten, will sich Benjamin nicht entgehen lassen. Er erhofft sich aber noch einen weiteren Effekt. Zieht sich seine Mutter aus dem Business zurück und übergibt ihm die Leitung?

 

Es kommt anders. Benjamin sitzt in U-Haft. Er wird verdächtigt, einen Mordanschlag auf seine Mutter verübt zu haben. Nach einem Zusammenbruch ringt diese im Krankenhaus mit dem Tode. Benjamin streitet alles ab. Überraschend tauchen Mitschnitte aller Gespräche von diesem Wochenende auf. Bringt diese Datenmenge eine Entlastung? Einige Ausschnitte spielt die Journalistin Rike im Netz vor. Rike arbeitet für den Konkurrenzkonzern und ist Crime Reporterin. Verdächtige gibt es nun reichlich.

 

Das Hörspiel

 

Der Zweiteiler kommt langsam in Gang. Nach den ersten zwanzig Minuten zeichnet sich vorsichtig eine Handlung ab, die aber erst zum Schluss von Teil 1 Spannung andeutet.   Das Hörspiel umfasst zeitlich gesehen einen Nachmittag und Abend, sowie den nächsten Vormittag. Spielort am Tag ist das Hotel, am nächsten Morgen das Auto von Rike. Es gibt es viele O-Töne zu hören, aber ansonsten dauernd die Kommentare von Benjamin oder Rike. Der Hörer zieht den Hut ab, vor dem Sprechtalent Gerald Diehls als Benjamin, aber Spannung wird dadurch nicht erzeugt. Immerhin ist unüberhörbar das Benjamin ne fiese Möpp ist. Aber auch alle anderen Mitspieler sind eher Marionetten als Menschen mit Leib und Seele: die Stiefgeschwister, ein intriganter Künstler, ein karrieregeiler Politiker und und. Ja richtig, das hört sich sehr nach billiger Vorabendserie im Fernsehen an. So viele Klischeefiguren erlebt man selten. Teil 2 übernimmt die Konkurrentin Rike die Kommentarfunktion und berichtet aus ihrer Perspektive. Der Hörer bekommt einen Eindruck von den Möglichkeiten und Gefahren neuer Medien. Das wird technisch überzeugend inszeniert. Aber auf der Jagd nach Followern werden schon mal Grenzen überschritten.

Eine Schlussredaktion hätte dem Text gutgetan. Ein Krankenwagen hat nun wirklich keinen Kofferraum. Und wer spricht schon heute noch die Bedienung mit „Fräulein“ an? Die von den Toten auferstandene Hanna Rohde macht Rike nach einem Telefongespräch zur neuen CEO von Scoop. Wer denkt sich denn so einen Blödsinn aus? Unglaubwürdige Szenen gibt es reichlich. Aber die entscheidende Schwachstelle des Hörspiels ist, dass es dem Hörer jede Neugier und Freude nimmt. Benjamin und Rike tragen alle Gedanken vor, die eigentlich dem Hörer überlassen sein sollten. Und dauernd wird irgendein Mitschnitt hervorgezaubert, der wieder einen anderen Aspekt einläutet. Trotz vieler gelungener technischer Spielereien ist das Hörspiel todlangweilig. Das Stück will Familendrama, sicher auch Medienkritik sein. Schade, dass dies alles untergeht. Ein Krimi ist es auf keinen Fall

 

 

Fazit

 

Vielleicht ist es eine Generationenfrage. Nicht Fisch, nicht Fleisch. Todlangweilig trotz vieler technischer Raffnissen. Ein Tiefpunkt der ARD Hörspielkunst.

 

Wertung besser nicht

 

Dauer 2 Episoden ca. 52 Min.

 

 

Verfügbarkeit

 

ARD Audiothek

 

 

Nase um Nase – Hamm schlägt wieder zu

  © ARD / Jürgen Frey     Der späte Winter ist immer dem Hammer Radio-Tartort gewidmet. Im Jahr 2024 bereits mit der 19. ...