Dienstag, 30. Januar 2024

Sörensen sieht Land – Episode vier von Sven Stricker

Buchcover

 

Nachdem im Frühjahr 2023 das Buch erschienen ist, haben die Liebhaber von Sörensen und damit Bjarne Mädel schon gelauert. Das Deutschlandradio hat im Dezember 23 die Hörspielarbeit des bewährten Teams Stricker/Mädel veröffentlicht.

 

 

Inhalt

 

Auch im norddeutschen Katenbüll wird gefeiert. Das Jubiläumsfest des Einkaufszentrums ist für die Jugend ein Anlass mal so richtig, „die Sau rauszulassen“. Doch das Vergnügen geht jäh zu Ende. Ein Kia rast in die Menschenmenge und verursacht Tote und Verletzte. Der krebskranke Vater von Kommissar Sörensen wird schwer verletzt, die Bürgermeisterin kann sich gerade noch retten. Kurz darauf wird der Kia an einer Landstraße gefunden. Der Wagen gehört dem ehemaligen Praktikanten und jetzigen Kommissars Anwärter Malte Schuster. Doch am Steuer des Wagens finden sich auch Spuren der jungen Swantje Nissen, die auf dem Fest gesehen wurde, aber bei der Raserei ums Leben gekommen ist. Viele Widersprüche und Unklarheiten. Bei den Jungen benebelt von Alkohol und Drogen. Bei den Alten, die Intrigen und Affären leugnen. Sörensen und seine Kollegin Jenny Holstenbeck können nicht an die Schuld von Malte glauben und gehen jeder erdenklichen Spur nach. Allmählich lichtet sich der Nebel und sie sehen Land.

 

 

Das Hörspiel

 

Wie es sich für eine Episodenfolge mit Stammhörern gehört, gibt es Bekannte und Bekanntes, aber auch viele neue Ansätze. Das zweiteilige Hörspiel wird von Bjarne Mädel mit seinem einzigartigen Ton getragen, der gelegentlich die Handlung in der Ich-Form kommentiert. Seine Art der Gespräche lockert so manche Zunge und gönnt dem Hörer wunderbare Dialoge. Aber Sörensen gewinnt zuhörend an Statur und wehrt sich erfolgreich gegen Druck. Seine Depressionen treten in den Hintergrund. Aber Psychologie bleibt für den Autor wichtig: Die junge Swantje Nissen ist voller Unsicherheit und Selbstzweifeln. Auch sie kommentiert in einem inneren Monolog ihre Unsicherheiten. Elterliche Liebe kann zu viel des Guten sein. Alle Sprecher begleiten den Alltagston von Bjarne Mädel kongenial. Der Hörer scheint mitten in der Welt Katenbülls zu sein. Der immer vorhandene Humor und die hörbare Sympathie für die Vielfalt menschlichen Dasein erlauben ein Entblößen ländlicher Idylle ohne moralischen Zeigefinger. Die meisten Figuren sind unsicher, auf der Suche nach ihrer Identität, die mehr ist als nur das biologische Geschlecht.

Das Hörspiel benötigt im ersten Teil lange bis es zum Kriminalfall wird. Aber durch die Vielfalt und Unterschiedlichkeit der Spuren wird es zu einem ausgesprochen spannenden Krimi, in dem sich erst ganz spät das tatsächliche Geschehen abzeichnet. Der Kniff mit einem dramatischen Amoklauf zu beginnen und anschließend die Figuren ausführlicher kennen – und verstehen zu lernen, ist nachahmenswert. Unüberhörbar ist es ein Gewinn, dass der Autor ein erfahrenen Hörspielregisseur ist.

Leider gibt es auch Schattenseiten. Stricker hat zu viele Nebenthemen eingebaut: Lokalpolitik, Drogen, Intrigen, dementer schwerverletzter Vater, Liebelei mit Jenny. Eine Reihe von Handlungen überschreitet die Schwelle des Nachvollziehbaren wie eine Autoverfolgungsjagd auf einem Acker oder die Selbstisolierung eines Verdächtigen. Nicht alles trägt zur Handlung bei.

 

 

Fazit

 

Sven Stricker und Bjarne Mädel haben wieder einen spannenden Krimi mit Spannung, Humor und Lokalkolorit produziert, der im besten Sinne hörenswert ist. In der Reihe der Sörensen-Krimis ist er allerdings der Schwächste.

 

Wertung 80 %

 

Dauer ca. 107 Min. in zwei Episoden

 

 

Verfügbarkeit

 

ARD Audiothek

 

 

 

 

 

Samstag, 20. Januar 2024

Verfluchter Krieg – Eine neue „Glut“-Episode des SRF

 

Martin Engler als Glut/© SRF 2023

Der Schweizer Rundfunk legt im Winter 2023 eine vierte Episode des Autors Holliger um den ehemaligen Kommissär Glut vor. Glut ist ein ausgesprochener Charakterkopf und hat zudem noch eine Lichtallergie, kann als nur Nachts arbeiten. Er sucht Katzen. Eine kleine Fangemeinde freut sich auf die anspruchsvolle, nie ganz einfachen Hörspiel. Das Intellektuellenkrimi hat Lokalkolorit, ist aber kein Mundartkrimi.

 

Inhalt

 

Winter 1992.Eines Nachts läuft Heiner Glut sein ehemaliger Kollege, der Kriminaltechniker Simon Isler, über den Weg und schleppt ihn mit auf die Spitze des Münsters. Per Laser will ihm ein Informant aus der Bank für internationale Zusammenarbeit Insider-Geheimnisse zukommen lassen. Daraus wird nichts. Sie befinden sich plötzlich im Visier von Scharf-Schützen und fliehen. Auf dem Heimweg wird Glut Zeuge eines Überfalls auf ein Auto und er meldet dies seinen ehemaligen Kollegen. Die sind nicht überrascht. Es müssen Kroaten gewesen sein, die seit einiger Zeit versuchen, eine serbische Hauptfigur des jugoslawischen Bürgerkrieges zu töten. Unversehens wird Glut gebeten, sich in die Ermittlungen einzuschalten. Zögernd sagt er zu und befindet sich bald darauf, im ruhigen Basel, in einem Kampf um Geld, Informationen und Menschen. Basel befindet sich plötzlich mitten im Geschehen des Jugoslawien-Krieges. Und dann wird es auch noch persönlich: Das Haus, in dem er lebt, soll Unterschlupf eines serbischen Kriegsverbrechers sein.

 

Das Hörspiel

 

Der Autor bezeichnet sein Hörspiel völlig zu Recht als einen „albtraumhaften Mystery-Krimi und Polit-Thriller“. Damit bedient er den Zeitgeist, der Mystery und Grauen liebt, den klassischen Krimifreund und zugleich die Liebhaber von Politkrimis.

Den vielen politischen Verästelungen und Verfeindungen zu folgen, wird nur wenigen Hörern gelingen. Spannend, aber extrem kompliziert. Glut ist nicht nur Ermittler, sondern offenbart auch seine komplexe Innenwelt. Er sieht seine toten ehemaligen Kollegen, hat Albträume und verliert oft genug die Bodenhaftung. Der Autor liebt den Spagat zwischen Irrealem und präzisen realen Beschreibungen. Es gibt das Große und Ganze und dann wieder die Kleinigkeiten. Die literarisch anspruchsvolle Sprache und viel Sprachwitz gehen etwas unter. Der Hörer sollte bereit sein, in diese Welt einzutauchen. Wenn er wieder auftaucht, wird er möglicherweise nicht genau wissen, wo er sich gerade befindet. Der Zugang zum Hörspiel fällt leichter, wenn man die vorhergehenden Episoden gehört hat.

Das Alles wird ausgesprochen unterhaltsam, spannend und hörenswert inszeniert. Es gibt wunderschöne zärtliche Szenen, eklige und grausige. Der zeitliche Ablauf ist nicht immer einfach zu verstehen. Wie häufig bei den Hörspielen des SRF sind Sound und Geräusche Erste Sahne. Hier knarrt noch die Treppe zum Münster und Glut hechelt die letzten Stufen. Ein Highlight ist eine Verfolgung im Abwasserkanal, in der es hallt und gurgelt. Die Musik ist eher experimentell.

Die brillante Regie lässt allen Sprechern den Raum die Figuren mit Leben zu füllen.

Als Episodenreihe würde man sagen. Gelungenes Ende, aber nun sollte es auch genug sein. Der Autor möchte einfach zu viel des Guten.

 

 

 

Fazit

 

Das Hörspiel ist wie ein mehrgängiges Viersterne-Menü in einem angesagten Restaurant. Für Genießer und Gourmets ein Genuss. Der Durchschnittsesser wird nicht satt und spart sich das Geld. Der SRF ist aber zu loben, dass er nicht nur die Tagesessen im Angebot hat.

 

 

Wertung 70 %

 

Dauer ca. 59 Min.

 

 

Verfügbarkeit

 

SRF Krimi Homepage

 

Sonntag, 14. Januar 2024

Timothy Truckle – Ein Scifi-Krimi aus der DDR-Vergangenheit

 

© MDR 2023

Der MDR hat ein glückliches Händchen, attraktive Stoffe auszugraben. Im Winter 23 wird die zweite Staffel von Timothy Truckle mit drei weiteren Episoden zu hören sein. Der längst verstorbene DDR-Autor Gert Prokop hat diese Sci-Fi-Krimis ab 1977 als Kurzgeschichten veröffentlicht. Prokop zeigt kunstvoll, dass Dystopien auch humorvoll, geistreich und kritisch sein können. Im Mittelpunkt der Episoden steht der kleinwüchsige Timothy Truckle (Tiny). Er arbeitet als einzig verbliebener Privatdetektiv in den Vereinigten Staaten von Amerika. Er lebt in Chicago im 827. Stock eines der vielen Hochhäuser. Unterstützt von seinem allwissenden Computer Napoleon. Tiny arbeitet nur für die Schönen und Reichen und die ganz schön Reichen.

 

Der Samenbankraub – Die Episode 5

 

Einer der reichsten Männer der Vereinigten Staaten hat ein Problem: Als die Welt vor vielen Jahren auf eine atomare Katastrophe zusteuerte, hat er eine Samenprobe von sich zukunftssicher deponiert. Heute will der 150-jährige Bigboss Abraham P. Bentley keine Kinder mehr. Dennoch sorgt er sich. Die Probe wurde entwendet. Will einer seiner zahllosen Nachkommen, sein Erbe vermehren oder sind hier Konkurrenten im Spiel? Eigentlich war ein Diebstahl unmöglich. Es gibt keine Erklärung, aber auch keine Geldforderungen oder andere Reaktionen. Seine weltgewandte, junge Assistentin Inger Johnson muss Truckle einschalten. Koste es, was es wolle. Nach langem Zögern reizt es Truckle , ans Meer zu kommen. Dort hat sich der Milliardär ein Refugium geschaffen. Umgeben von der verbotenen Zone. Truckle knüpft sich die Verwandtschaft vor, findet keinen Fehler beim Bewachungsunternehmen. Er ist ratlos. Also muss er an etwas denken, an das niemand denkt.

 

Die Inszenierung

 

Die Inszenierung ist kein spannungs- oder grauenbeladener Thriller. Ein Erzähler führt gemächlich durch die Szenen und Themen. Alles eher konventionell und nicht irgendwie zukunftsheischend. Dies ermöglicht eine Konzentration auf die Themen und den anspruchsvollen Text. Der Hörer folgt den Gesprächen und Aussagen mit zunehmender Spannung und kann durchaus den Plot aus den Augen verlieren. Die Anzahl der Personen ist überschaubar. Eine solche Textvorlage braucht erstklassige Sprecher, die jede feine Ironie oder Despektierlichkeit hören lassen. Und so ganz nebenbei greift der Autor ein bis heute brisantes Thema auf: Samendatenbanken und ihre Risiken.

 

 

Die Truckle-Reihe

 

Der Autor Prokop kennt natürlich seinen George Orwell oder Chandler und spielt mit ihren Themen und ihrer Sprache. Prokop ist es in der DDR gelungen mit einer Dystopie die im verruchten Westen spielt, indirekte Kritik an den Zuständen im Lande zu formulieren.

Unkonventionelle Themen („Wer stiehlt schon einen Unterschenkel?“), kluge Gedankengänge sowie viel Humor und Ironie sind seine Markenzeichen. Die Hörspielreihe zeigt, dass der Autor bis heute aktuell ist. Mit running gags und der immer gleichen Detektivtruppe ideal für eine Episodenreihe. Die wesentlich später im Westen erschienen Jungen Detektive des Kultautors Koser erinnern sehr stark an die Truckle-Episoden.

 

Wertung 90 %

 

Dauer zwischen 30 und 50 Minuten je Episode

 

 

Verfügbarkeit

 

ARD Audiothek

 

 

 

 

 

Montag, 8. Januar 2024

Geschlossene Gesellschaft - Ein Tatort Hörgenuss

 

© ARD / Jürgen Frey

Im Herbst 2022 hat das Team des NDR um Bettina Breuer seine Dienstzeit mit einem Rekord beendet: 24 Episoden im Zeitraum von 14 Jahren. Immer auf einem hohen Niveau und einem wenig aufdringlichen, lokalen Hintergrund. Geschrieben von renommierten Autoren und von einer kleinen Reihe von Regisseuren hergestellt. Hier hat sich Sven Stricker ins Gedächtnis geschrieben, bevor er mit Sörensen den ganz großen Erfolg errang. Die Krimiautorin Simone Buchholz soll im Herbst 2023 Neuland erobern un der Hörer und ist gespannt.

 

Inhalt

 

Die Spezialeinheit der Polizei arbeitet in Verden an der Aller zusammen. Aber sie haben sich noch nicht gefunden. Gina Scarafino ist die erfahrene Extremismusexpertin. Die sportliche Jules Dombrowski liebt es, unerkannt zu ermitteln und der ehrgeizige Philipp von Treuenfels ist Mädchen für alles. Die anthroposophische Schule in Verden ist während der Pandemie durch einige Aktionen ins Visier der örtlichen Polizei geraten. Als auf den Bürgermeister, die Schulaufsicht und den Leiter der Grundschule ein Attentat mit Tollkirschenkuchen versucht wird, schaltet sich die Spezialeinheit ein. Jules wird als Erzieherin in die Schule eingeschleust. Gina und Philipp analysieren das Umfeld. Noch bevor erste Ermittlungsergebnisse vorliegen, wird die Leiterin der Schulaufsicht überfahren aufgefunden. Sie hatte wenige Tage zuvor der Leiterin der anthroposophischen Schule mitgeteilt, dass sie ihres Amtes enthoben wird und die Schulaufsicht die Leitung übernimmt. Spinnt die Schulleiterin oder hat sich das ganze Kollegium zusammengetan? Jules will helfen, doch sie kommt nicht aus der Schule. Alle Türen und Tore sind geschlossen. Was bahnt sich da an? Gina ordert auf jeden Fall schon mal die SEK.

 

Das Hörspiel

 

Vorab: Hier steht eindeutig das Hören im Mittelpunkt. Gespielt wird auch: Das Team untereinander, das Team mit der örtlichen Polizei (Bjarne Mädel) und der Staatsanwältin. Es gibt auch schöne running gags

Die Story wird konventionell ohne Erzähler gespielt. Allerdings stellen sich die Hauptpersonen selber vor. Die Einstieg ist eine längere Aufnahme, in der die Szenen ineinander übergehen. Das Team besteht aus drei sympathischen Individualisten, von denen man gerne mehr hören möchte. Reizvoll, dass die klassischen Krimikonstellation hier auf den Kopf gestellt wird. Gina ist die bestimmende Person, Jules die Alleskönnerin und Philipp eben das Mädchen für alles. Eine Konstellation zwei Frauen, ein Mann hat Sartre ja schon in seinem gleichnamigen Schau-/Hörspiel gewählt. Ein ganz wenig Psycho gibt es auch: Philipp hängt noch an der Mutter. Die toughe Gina hat ein Problem mit ihrem italienischen Ledermantel aus alten Zeiten. Ohne zu spoilern, kann man den Plot nicht beschreiben. Er ist die einzige Schwäche des Hörspiels. Die Spannung entsteht aus der Sprache und den Dialogen sowie wunderbaren Lauschangriffen.

Philipp ruft seine Eltern an: „Hallo Papa“. „Schön, dass du anrufst, ich hol schnell Mama.“ Eine knapp formulierte Lebenserfahrung aller Erwachsenen. Die Mama nennt ihn übrigens Muggelchen! Oder Jules: „Ich steh auf Frauen, also meistens, ich hab ADHS, ich hab Tabletten, und ich kann mich unsichtbar machen“. Die Sprache ist immer knapp und präzise. Oft witzig und frotzelnd. Das Hörspiel nimmt sich Zeit für eine Vielfalt von Alltagsgeräuschen, die spürbar die Spannung erhöhen und gelegentlich in die beeindruckende Begleitmusik übergehen. In diesen Momenten ist die Musik elektronisch, aber meist melodiös und mit passender Dynamik.  Ab und an werden dem Hörer Klassiker gegönnt, nie zweckfrei (Spiel mir das Lied vom Tod!). Eines der seltenen Kriminalhörspiele, die man gerne zweimal hört, obwohl man die Handlung schon kennt. Diese Qualität nimmt der Hörer wahr, weil jede Figur bestens besetzt ist. Wenig verbrauchte Sprecher, die den Typ glaubhaft darstellen. Bjarne Mädel muß natürlich so sprechen, wie wir ihn alle erwarten.

Inhaltlich weist die Autorin auf ein wachsendes Problem hin: In sich abgeschlossene Gesellschaften, die die Außenwelt nicht mehr wahrhaben wollen und in eine eigene Welt abdriften, die auch extrem gefährlich sein kann.

 

Fazit

 

Sprachlich erste Sahne, Regie geht kaum besser. Ein Gaumenschmaus für die Ohren. An den Plots sollte die Autorin noch arbeiten.

 

Wertung 90 %

 

Dauer ca. 55 Min.

 

 

Verfügbarkeit

 

ARD Audiothek

 

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