Samstag, 30. September 2023

Caro ermittelt – Fall 3 Ein neuer Genie-Streich

 


Der Einfallsreichtum, die Unverfrorenheit und die Humorbesessenheit haben den RBB gezwungen, ein eigenes Genre für die Autorin Caroline Labusch und ihre Regisseurin Marion Pfaus zu erfinden:  True-Crime-Comedy-Radioserie.

Wie in den ersten beiden Staffeln handelt es sich um reale, aktuelle Geschehnisse. Nicht um nacherzählte Mordgeschichten. Diese Geschichten sind spannend wie die Wirklichkeit. Denn Alles was man sich ausdenken kann, kommt in Wirklichkeit vor. Es ist Comedy, denn alles wird locker flockig (Berlin!) und mit viel Augenzwinkern erzählt. Und ja, es ist keiner dieser endlos langweiligen Podcasts, in denen zwei schlecht Vorbereitete B-Promis erzählen, was ihnen so einfällt. Eine Radioserie also. Schön, dass es dich gibt.

 

Inhalt

 

Caro ist genervt von den vielen Telefonaten mit fremd klingender Stimme, die ihr Geldanlagen schmackhaft machen wollen. Gemeinsam beschließt das Team dem ein Ende zu setzen und diesen Gaunern das Handwerk zu legen. Aus Spiel wird Ernst und sie lassen sich auf Verhandlungen mit einem dieser Berater ein.

In neun Episoden wird nun Stück für Stück gezeigt, wie solche Betrüger arbeiten und wie man sie „kriegen“ kann. Caroline Labusch verwandelt sich in die Haushaltshelferin Balusch, die ihre Chefin Erika Mittel dabei unterstützt, Schwarzgeld, beim Herrn Wolf anzulegen. Doch als Caro/Balusch den guten Wolf überreden will, Halbe/Halbe zu machen und das Geld von Erika Mittel einzusacken, steigt Wolf aus. Doch schnell meldet sich eine neuer Telefonbetrüger, Andre Getty. Das Team baut sogar im Internet eine gefakte Bankhomepage auf, die nun dem Herrn Ernsthaftigkeit suggerieren soll. Angesiedelt auf den Cayman Islands. Er fällt darauf rein. Er will unbedingt den Deal Halbe/Halbe und gibt sogar seine persönlichen Daten in einer Art Post-Ident mit Video preis. Die Daten sind überprüfbar. Der echte Andre Getty ist enttarnt. Das Video zeigt aber keine Goldkettchenumgebung, sondern eine eher ärmliche Wohnung.

Doch was macht man nun mit dem Gauner? Er sitzt in Albanien und hat noch nicht wirklich betrogen. Ist aber Teil einer üblen Geschäftswelt. Caro und das Team holen sich externen Rat.

 

Hörspiel

 

Alles, was der Hörer hört, hat sich exakt so abgespielt. Da wurde nicht nachgespielt oder gefakt. Das hört sich dann schon manchmal seltsam an. Diese Authentizität wird vertieft, in dem immer wieder Dialoge aus der Produktionsarbeit eingeblendet werden. Und Caro, ihre Regisseurin Marion Pfaus und alle die anderen sprechen so ,wie Menschen sprechen. Sie sprechen nicht als Schauspieler. True Crime eben. Und natürlich ist es spannend zu hören, ob und wie sie dem bösen Wolf und Getty auf die Schliche kommen. Da gibt es Umwege und falsche Pfade. Das Meiste was man hört, ist unglaublich und immer witzig.

Letztlich wird deutlich, wie das System dieser Betrüger funktioniert, aber auch wie schwer es ist, sie dingfest zu machen.

Die Episoden sind unterschiedlich lang, um die 25 Minuten. Jede Episode beginnt mit einer kleinen Rückblende, die den Einstieg erleichtert. Es gibt keine Spielszenen, sondern nur die Studiosituation oder Telefonate. Sachlich nüchtern sind nur das Gruppengespräch in Episode 7 und ein Telefonat mit der Polizei. Immer wieder werden Selbstgespräche oder kleinere Diskussionen im Team eingeblendet. Es hört sich immer an, als wäre es Echtzeit.

Technisch natürlich vom Feinsten. Caro muss verschiedene Figuren sprechen, nutzt technische Hilfsmittel zum Verzerren und dann die Auslandstelefonate mit dem gebrochenen Deutsch.

Aus dem Rahmen fällt Episode 7 mit der Gruppendiskussion unter Fachleuten. Wer liest, welche Promis eingeladen wurden, hat schon eine Vorstellung vom Ergebnis der Diskussion. Die einzige Schwachstelle dieser Reihe. Die Bestrafung ist dann wieder ein Geniestreich von Caro.

 

Fazit

 

Ein hochattraktiver Hörgenuss. Die Machart ist schon gewöhnungsbedürftig und wird nicht jedem gefallen. Witzig, informativ und lehrreich, ungewöhnlich. Eine Hör-Bar mit vielseitigen Angeboten.

 

Wertung  90 %

 

Dauer  ca.150 min in 7  Episoden

 

 

Verfügbarkeit

 

ARD Audiothek oder beim RBB

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Sonntag, 24. September 2023

Gangster in London - Eine hörenswerte Neufassung des Klassikers

 


Der rührige Saphir-Tonart Verlag um Sven Schreivogel hält tapfer das Fähnchen des fast vergessenen Edgar Wallace mit neuen Produktionen hoch. Die literarischen Vorlagen sind dabei schon fast 100 Jahre alt und stehen als Buch kostenfrei im Projekt Gutenberg zur Verfügung. Gangster in London erschien 1932 und wurde von Ravi Ravendro übersetzt (333 S.).

Inhalt

 

London in den 1920-Jahren. Die junge, attraktive Leslie Ranger ruft die Polizei. Seit wenigen Tagen arbeitet sie für Sir Decadon, der mit Butler und Dienstmädchen in London lebt. Decadon wird per Brief mit dem Tode bedroht, wenn er nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt 50.000 Pfund bezahlt. Inspector Tetley ist ratlos, wieso ausgerechnet Decadon? Hat der frisch aus den USA angereiste Neffe Eddie Tanner etwas damit zu tun? Er bittet die amerikanische Polizei um Amtshilfe. Der schnell angereiste Captain Allerman klärt auf, dass Tanner in den USA eine gesuchte Gangstergröße ist.

Die Ereignisse überschlagen sich. Auf Allerman wird noch im Hotel ein brutales Attentat verübt. Gibt es einen Maulwurf bei Scotland Yard? Es tauchen neue Erpresserbriefe bei den Reichen der Stadt auf. Und Kirky Smith oder wie immer er gerade heisst, ist der zweite Gangster-Gigant aus Chicago, der gerade Urlaub in London macht.  Beginnt da gerade ein Bandenkrieg in London? Geht die Polizei den direkten amerikanischen Weg verkörpert durch Allerman oder den nachdenklichen abwägenden Weg des jungen Tetley? Der ist aber abgelenkt, weil er Augen für die attraktive Leslie hat. Kein leichtes Unterfangen.

 

 

 

Das Hörspiel

 

Sprachlich und akustisch wurde die Story vorsichtig modernisiert. Sie spielt in einer unbestimmten Zeit, wenngleich nicht zu überhören ist, dass es sich um die Ära der Prohibition in den 1920-Jahre handelt.  Der Hörer hat es also nicht mit hochtechnisierten filigranen Ermittlungen zu tun, sondern mit Haudegen (USA), Gentlemen-Ermittlern (England) sowie Good Old England mit Butler und Dienstmädchen. Die Polizei schlägt sich mit brutalen Gangstern und eigensinnigen Reichen herum. Atmosphärisch ist das wunderbar gelungen. Die Szenen sind umrahmt von jeweils passender, ruhiger Musik, die es erlaubt, die Gedanken schweifen zu lassen. Selten passen Rolle und Stimme so gut zueinander. Jan Reinertz als Captain Allerman spricht den typischen überheblichen amerikanischen Cop aber umschifft alle Peinlichkeiten. Die Gauner sind plump und rücksichtslos. Anja Klauer gelingt es mit ihrer stimmlichen Vielfalt der undankbaren Tippsen-Rolle etwas abzugewinnen. Ihr „Na Ja“ klingt wie bei meiner Enkeltochter. Ja und es gibt die running gags. Tetley beharrt darauf Chiefinspector genannt zu werden: „So viel Zeit muss sein“. Den Bearbeitern ist es gelungen, den eher etwas langatmigen Autor Wallace in herrliche, lebendige zeitnahe Dialoge zu transportieren. Neben der Gangsterstory entwickelt sich eine zärtliche Liebesgeschichte.  Die Handlun beginnt vorsichtig, nimmt mit der Zeit Tempo und neue Pfade auf und wird gegen Ende schnell und spannend. Rauchende Colts bzw. Maschinengewehre dürfen nicht fehlen. Gelegentlich hört es sich so an, als ob der Hörspieltexter zarte Anklänge an hard-boiled detektives und deduktives Arbeiten einwebt. Der Hörer sollte in Hinblick auf Logik aber nicht allzu kleinlich sein.

Dieses Hörspiel vermittelt auch etwas Zeitgeschichte. Das gute alte England mit dem altehrwürdigen Scotland Yard muss sich gegen reiche, rücksichtslose amerikanische Gangsterbanden wehren. Die Zeiten ändern sich, was der kurz vor der Rente stehende Super spürte.

 

 

Fazit

 

Das Hörspiel ist nostalgisch und unterhaltsam. Die Adaption einer historischen Vorlage ist Bestens gelungen. Hervorragend produziert mit vielen hörenswerten Dialogen, einprägsamen Stimmen und passender Begleitung. Da darf man schon mal wegen einiger Schwächen der Vorlage ein Ohr zudrücken.

 

 

 

Wertung 80 %

 

Dauer ca. 63 Min.

 

 

Verfügbarkeit

 

Bei Amazon/Audible: https://www.amazon.de/Gangster-London-Krimi-Klassiker-neuer-H%C3%B6rspielfassung/dp/B0CF5FDTYB

 

oder Spotify

 

 

 

Sonntag, 17. September 2023

Lucian Wing – Zwei Freeman-Krimis aus den tiefsten Winkel der USA


 

Castle Freeman ist ein spät entdeckter amerikanischer Autor, der zudem noch spärlich publiziert. Der SWR hat bereits 2018 zwei seiner Krimis beeindruckend umgesetzt. Im Sommer 2023 veröffentlich der SWR mit „Der Klügere legt nach“ und „Herren der Lage“ zwei weitere Krimis aus der Trilogie um den lakonischen, ruhigen Polizisten Lucian Wing. Er lebt in einem verschlafenen und einsamen Nest in Vermont, USA. 

 

Der Klügere legt nach

 

County Sheriff Lucian Wing hat Ärger. Seine Frau Clemmi hat einen anderen Bettgenossen und er musste ausziehen. Und dann wird auch noch dem Kleinkriminellen Terry St. Clair die Hand abgehakt. Typischer Racheakt, kein Fall für die Polizei. Wird sich schon alles mit der Zeit regeln.

Doch der ehemalige hohe Militär und jetzige Gemeinderatsvorsteher Steve Roark sieht das anders und erwartet eine schnelle Aufklärung. Diese Ansammlung von schwierigen Situationen beunruhigt auch seinen ehemaligen Chef und seine beiden alten Kumpels. Terry flieht nach einem ausführlichen Beratungsgespräch, Lucians Nebenbuhler wandert nach der Schilderung, wie Ochsen kastriert werden gen Florida. Bleibt DIE SITUATION. Steve Roark.

 

Herren der Lage

 

Lucian Wing bekommt Besuch. Aus der großkotzigen Limousine steigt ein vornehmer Snob aus. Er ist Anwalt und vertritt den reichen New Yorker Rex Lord. Der ist auf der Suche nach seiner halbwüchsigen Tochter Pamela, die sich hier in den Wäldern von Vermont verstecken soll. Lucian möge sich darum kümmern. Das sind genau die Töne, die Wing nicht mag. Selbstredend findet er schnell die Tochter mit einem Freund aus dem College in einem Zelt mitten im Wald, umgeben von einer Hanf-Plantage. Er verrät sie nicht, sondern versteckt sie vor dem Anwalt und ihrem Stiefvater. Nun ist es zu Ende mit der Freundlichkeit. Gnadenlose Killerkommados begeben sich auf die Suche nach Pamela. Lucian und seine Kumpel müssen sich viel einfallen lassen, um Pamela zu schützen. Da hilft es, dass sein Schwiegervater Adison den reichen Rex Lord kennt. Und vor allem die Mutter von Pamela. Sie hatten in jungen Jahren mal was miteinander. Um Pamela zu retten, braucht er aber doch unerwartete Hilfe.

 

Die Hörspiele

 

In den Lucian Wing Krimis ist Lucian nicht nur die Hauptperson, sondern auch der Erzähler. Der Hörer darf also keine irgendwie neutrale Position erwarten. Eine Stimme im off verkündet lediglich die Titel der einzelnen Szenen. Lucian ist ruhig bis zur Gleichgültigkeit, der Heimat und Landschaft zutiefst verbunden und abgebrüht bis zum geht nicht mehr. Das hört man auch. Trotz vieler Schauplätze ist das Erzähltempo ruhig, was dem Hörer ermöglicht, die sprachlichen Feinheiten wahrzunehmen. Auch wenn es nicht immer die gleichen Sprecher wie in den ersten Freeman-Krimis sind treffen alle einen Ton, den sich der Hörer von vierschrötigen Personen im einsamen Vermont vorstellt. Devid Striesow ist eine kongeniale Besetzung als Lucian. Die Vorlage, die zwischen feiner Ironie und Hard-Core schwankt, ist nicht eben leicht zu vertonen. Gelegentlich klingen die Sätze zu ironisch. Neben der eigentlichen Handlung gibt es kleine Nebenthemen: die Familiengeschichte Lucians, die Polizeiarbeit, die Alten bis hin zur Demenz. Auch der Sound fängt eine ländliche Kulisse ein. Was so gemächlich beginnt, endet immer anders als der Hörer erwartet. Extrem spannend erzählt und mitunter ebenso unerwartet brutal. Alles ohne Zeigefinger.

Freeman ist im Übrigen ein Lehrmeister der Gesprächstherapie. Mit welchem Gespräch Lucian in der Eingangsszene von Herren der Lage den durchgeknallten Rumba wieder in die Normalität entführt, ist (be-)merkenswert. Und Freeman gelingen wunderschöne Sätze, die bestens ins Radio passen: „Da wird eine ganze Menge nicht gesprochen“.

Die Hörspiele unterhalten bestens und öffnen ein wenig ein Fenster in das ländliche Amerika. Das Land in dem es mehr Waffen als Menschen gibt.

 

 

Fazit

 

Man muss schon die ruhige Erzählweise mögen. Tempo und Dramatik darf der Hörer nicht erwarten. Aber viel spannender als jede Inhaltsangabe andeuten kann. Es lohnt sich, auch die Hörspiele von 2018 zu genießen.

 

Wertung 90 %

 

Dauer  55 Min.

 

 

Verfügbarkeit

 

ARD Audiothek

 


Sonntag, 10. September 2023

Marlov in Tschernobyl – Ein Muß für Crime-Noir Liebhaber

 

Quelle:WDR

Der Autor David Zane Mairowitz hat mit dem sowjetisch-russischen Privatdetektiv Yevgeny Marlov 2006 eine Kultfigur geschaffen. Und ja der kundiger Hörer ahnt es: Die Nähe zu Raymond Chandler Philipp Marlowe ist beabsichtigt. Da Marlov im Spieljahr des ersten Krimis  1934 (I killed Kirov) nicht ganz jung war, kann man ihn getrost als alterslos, vielleicht als unsterblich bezeichnen, wenn er 1986 immer noch ermittelt und fit wie eh und je. Anders als bei Chandler sind die Krimis von Mairowitz nicht unpolitisch und durchaus informativ. Dem produzierenden Sender WDR ist dann auch noch das Kunststück gelungen, Marlov bis heute mit dem genialen Udo Schenk zu besetzen, der sonst im Arztfernsehen verkümmert.  Bis heute (Juli 2023) sind 14 Krimis erschienen, immer betreut vom Regisseur Jörg Schlüter und lange begleitet von der Eingangsmelodie Walzer Nr. 2 von Schostakowitsch.

 

 

Inhalt

 

Moskau 1986. Es klingelt in der heruntergekommenen Absteige Marlovs. Der alte, zahnlose Marlov schleppt sich durch die Whiskey-Flaschen zur Tür: Eine junge Frau bittet ihn um Hilfe. Ihr Bruder ist zusammen mit 8 anderen Bergsteigern bei einem Lawinenunglück in der Ukraine in Prypjat ums Leben gekommen. Sie möchte seinen Leichnam nach Moskau holen. Prypjat? Bergsteigen? Das ist doch weit und breit flaches Land ! Marlovs Schnüfflerinstinkt wird wach und nüchtern. Aber seine Skepsis bleibt? Wie hat die Frau ihn gefunden? Sei´s drum.

Beide begeben sich auf die lange Reise in das Gebiet, das 1989 durch die Katastrophe von Tschernobyl berüchtigt wurde. Doch der Zugang ins Leichenschauhaus wird Ihnen verwehrt. Das stachelt Marlov endgültig an, nicht aufzugeben. Es beginnt eine Suche nach der Leiche und der Wahrheit. Immer gestört durch brutale Geheimpolizei, lebensgefährliche Situationen. Der Zugang zum Gebiet, in dem die Toten gefunden wurden, ist militärisch hermetisch abgeriegelt. Marlov wird klar, hier soll etwas Hochdramatisches verborgen werden. Aber auch der Passierschein von sowjetischen Präsidenten Gorbatschow hilft ihm nichts gegen die lokale Polizeimafia. Was bedeutet der Hinweis: Wermut? Das  ist die deutsche Übersetzung des Ortes Tschernobyl. Der Stern Wermut ist zugleich eine Mahnung begangene Sünden nicht zu vergessen.

 

Hörspiel

 

Wie alle Marlov-Krimis ist es eine Mischung aus hoffnungslos überzogenen hard-boiled Szenen und politischen Intrigen und Wahrheiten. Mit seiner alten Luger und einem alterslosen Kämpferherz rettet er sich aus jeder Brenzligkeit. Es ist aber nie langweilig, weil dem Autor Mairotwitz die Ideen nicht ausgehen, wie sich Marlov wieder rettet. Und dann gibt es noch die Kontakte. Marlov kennt jeden KGB-ler, sei er auch noch so weit von Moskau entfernt. Und natürlich kennt er Mischa im Kreml, zu dem er sich Zugang verschafft hat.

Erzählt wird die Geschichte von Marlov selbst.  Dem folgen die vielen spannenden Szenen und Spielorte: Leichenschauhaus, ukrainische Wälder, Eisenbahnwagon, Marlovs Absteige und vieles mehr. Die Regie fügt das alles durch wunderbare akustische Unterstützung zusammen, leider ohne Schostakowitsch. Auch der Hörer, der die Handlung für baren Unsinn hält, wird das Zuhören geniessen.

Aber Mairowitz ist auch politisch. Er verlegt ein Ereignis aus dem Jahr 1957 an einen anderen Ort und in eine andere Zeit. Schon 30 Jahre vor Tschernobyl hat die Sowjetunion vertuscht und gelogen, um eine reale Katastrophe zu verheimlichen. Alle Marlov-Krimis sind eine düstere Mahnung vor den lebensgefährlichen Machenschaften eines Staates, der dem Militär und der Geheimpolizei das Regieren überlässt.

Ein Wermutstropfen: Die Schlußszene deutet an, es könne nun doch der letzte Marlov gewesen sein. Wer führt künftig private Schnüfflerfeldzüge gegen den kriegführenden Tyrannen Russlands?

 

Fazit

 

Nicht jeder wird Marlov mögen. Es gibt in der Episodenreihe schwächere und bessere Stücke. Aber es ist schön, in einer sich extrem wandelnden Welt etwas verläßlich Wiederkehrendes zu hören, das so rücksichtslos hart und spannend ist. Und die Männer unter den Hörern müssen ihre dunkle Seite nicht ausleben, sondern hören ihr eigenes Kino im Kopf.

 

Wertung  90 %

 

Dauer  ca. 52 Minuten

 

 

Verfügbarkeit

 

ARD Audiothek oder beim WDR

 

 

 

 

 

 

 

 

 


Montag, 4. September 2023

Liebe minus null - Ein neuer München-Krimi von Friedrich Ani

 

Friedrich Ani

 

Ani ist in einem Alter und auf einer Ruhmeshöhe, dass er nur noch schreibt, wenn es ihm ein Anliegen ist. Daher kommen wir Hörer in den Genuss einer neuen dreiteiligen Krimipackung, produziert wie üblich vom BR im Sommer 2023 und mit dem pensionierten Kommissar Jacob Franck als Übermittler von Todesnachrichten.

 

Inhalt

 

Jakob Franck überbringt der Witwe die Nachricht: Ihr Mann Gerhardt Roberts wurde in der Nacht brutal ermordet. Er war seit vielen Jahren Stadtrat in München und eine wichtige Figur in der Politik. Wenngleich nicht unumstritten: Roberts war ein Hardliner. Ging gegen Obdachlose, Schwarzfahrer und alles, was irgendwie die heilige Ordnung störte, radikal vor. Aber Roberts war auch kein Mensch von Traurigkeit. Seine Frau wusste über Affären Bescheid.

Natürlich schlägt ein solcher Fall Wellen. Der Polizeipräsident schaltet sich ein, die Chefin will permanent informiert sein, die Presse drängelt. Eine Herausforderung für das Team um Nasri Fariza. Besaß der Obdachlose, dessen Stuhlbein Roberts tötete, genug Hass für einen brutalen Mord? Die Ermittler wenden sich eher dem Umfeld des Toten zu. Die Auswertung der Handydaten führt zu vielen Verdächtigen ohne Alibi. Der Besitzer der Lucy Bar Hanno Graf , in dem der Stadtrat regelmäßig „verkehrte“. Seine Fußballkumpel: Den Pfarrer Frank Seitz und Roberts verbindet eine Neigung zu Liebesabenteuer. Der eine mit Frauen, der andere mit jungen Männern. Oder der um seine Existenz kämpfende Catering-Unternehmer Michael Bechtold. Seine Ex-Frau Viola hatte wohl was mit Roberts. Seine neue Partnerin Anne Jeremies scheint sich auch nicht nur um seinen Sohn Luis zu kümmern. Und was bedeutet es, dass Roberts Ehefrau ihn in der Tatnacht offenbar verfolgt hat. Gut, dass der Ex-Kommissar Jacob Franck auch heikle Gespräche führen kann. Er genießt ungestört und ruhig die Abende mit seiner Ex-Frau.

 

Das Hörspiel

 

Das Hörspiel ist unendlich spannend und es ist langatmig. Der Hörer lauscht klugen Lebensweisheiten und nervigen Banalitäten. Nicht leicht, eine faire Beurteilung zu formulieren. 

Die Konstruktion des Hörspiels ist nicht ganz einfach, aber genial: Es reiht sich Szene an Szene, immer wieder unterbrochen durch Monologe von Nasri, die sich sehr persönlich zu den Ermittlungen äußert. Diese Monologe fassen den Stand der Ermittlungen zusammen und helfen dem Hörer den etwas schwierigen Überblick zu behalten. Nun lösen aber die Ermittlungen der Polizei Telefonate, Gespräche etc. bei den Befragten aus, die die Ermittler nicht kennen, aber der Hörer. Damit ist der Hörer der Polizei immer einen Schritt voraus. Spannend. Die eher kurzen Szenen bieten eine akustische Reise durch großstädtische Vielfalt: Nachtclubs, Polizeirevier, Kirche, Fußballplatz, Isarufer, häusliches Umfeld, Schlafplätze für Obdachlose. Dort leben die unterschiedlichsten Charaktere: der verschwiegene Pfarrer und sein Schützling, der insolvenz-gefährdete Catering-Unternehmer mit seiner Ex-Frau und dem gemeinsamen Sohn  und sowie seine schwierige, neue Partnerin, der Club-Besitzer und seine Damen. Sie alle sehnen sich in irgendeiner Form nach Liebe und bekommen sie nicht. Darunter leiden sie. Daher wohl der Titel: Liebe minus null. Und damit beginnt auch das Problem des Hörspiels. Der Autor hat im Grunde für alles und für jeden Verständnis. Unter dieser verständlichen Sozialromantik- und auch Sozialkritik leidet die Spannung. Es sind auch zu viele Themenkomplexe, die angesprochen werden. Die Krise der Gastronomie kommt gerade in jedem Ani-Hörspiel vor. Der Text erinnert an literarische Zeiten, die schon längst passe sind. Ist es ein Zufall, dass alte Songs wie Smooth Operator oder Take Five im Hintergrund erklingen? Meist ist die Begleitmusik melodiös, immer stimmig. Und es lohnt, jederzeit die Ohren zu spitzen, um z.B. die Isar während des Telefonats fließen zu hören. Oder andere Kabinettklänge. Alle Rollen sind bestens besetzt. Sie treffen die feinen Nuancen und sind doch immer klar zu unterscheiden. Autor oder Regie gönnen den Sprechern auch die Läßlichkeiten des Alltags wie „Sa ma“ oder eine lange Pause nach „weil“.

 

Fazit

 

Ein perfekt inszeniertes Hörspiel, dem eine Kürzung gutgetan hätte. Weniger Sozialkritik und weniger handelnde Personen ergeben mehr Spannung und Unterhaltung.

 

 

Wertung  90 %

 

Dauer  ca.157 min in drei Episoden

 

 

Verfügbarkeit

 

ARD Audiothek oder beim BR

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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