Sonntag, 30. Juli 2023

Krieg der tanzenden Männchen – Sherlock & Watson:Unglücklicher Abschluss der Staffel


Mit dieser Episode endet die 4 Staffel der Produktion des DAV. Alle Folgen zeichnen sich durch brillante Sprecher, allen voran Florian Lukas und Johann von Bülow, aus. Schnitt und Sound sind erstklassig. Alle Episoden spielen in drei verschiedenen Ebenen: die eigentliche, immer entfernt an einen Holmes-Titel angelehnt, die Suche nach der Vergangenheit von John Watson und modern inszenierten Blog-Einspielungen.

Inhalt

 

Elsie Cubitt bietet ihren entfernten Bekannten Sherlock Holmes um Hilfe. Seit einiger Zeit werden sie und ihr erfolgreicher Hip-Hop Star Razza d´Angelo immer wieder durch aggressive Grafitti bedroht. Die Grafitti bilden tanzende Männchen und Eidechsen ab. Zuletzt kam ihr Hund Remi unter mysteriösen Umständen ums Leben. Holmes und Watson erkennen schnell, dass es sich bei den Grafitti um die Symbole zweier rivalisierender Gangs handelt. Den Wembley Boys, die Wembley beherrschen und den Tamil Lizards, die den Stadtteil Harlesden beherrschen. Razza stammt aus Wembley, lebt aber nun im Feindesland Harlesden! Doch die Bosse der Gangs streiten jede Beteiligung ab. Eile ist geboten, nachdem Elsie und Razza auf dramatische Weise entführt wurden. Sherlock und Watson müssen schnell und entschieden handeln, um ihr Leben zu retten.

 

Das Hörspiel

 

Unglücklicher Weise ist der Abschluß zugleich das schwächste Hörspiel dieser Staffel. Selbstverständlich immer in hoher Produktionsqualität.

Das Schicksal Watsons in der Vergangenheit bleibt irgendwie unklar und verrennt sich in Geschichten um Hypnose etc.

Das Hauptstory fängt die Szenerie der Hip-Szene scheinbar gut ein. Auch die Atmosphäre in den Gangs, ihre Sprache, ihre Stimmen sind spannend zu hören, soweit man das als Laie beurteilen kann. Aber die Hauptfiguren Elsie und Razza überzeugen nicht mit ihren Charakteren. Sie sind etwas schlicht die Guten in dieser Geschichte. Der Plot ist wenig überzeugend und für den Hörer irgendwie absehbar. Aber auch hier gibt es viele Neben- und Irrwege bis der Hörer zum Schluß aushält. Ungewohnt ist allerdings, dass es neben den vielen attraktiven Spielorten auch ungewöhnlich brutale Szenen gibt. Das sind keine tanzenden Männchen, sondern brutale Gangster.

 

Fazit

 

Ein weniger gelungener Abschluss schadet dem Erfolg dieser neuen Staffel nicht. Spannende Krimis, Unterhaltung auf höchstem Niveau. Gut angelegtes Geld. Für den Betrag kann man nicht zwei Stunden ins Kino gehen.

 

Wertung 65 %

 

Dauer  1 Std. 53 Min.


Sonntag, 23. Juli 2023

Die Tote am Watt – Mamma Carlotta auch als Hörspiel

 


Lübbe Audio wagt einen mutigen Schritt: Der Fall 1 einer Reihe um die Hobbydetektivin Mamma Carlotta erscheint erstmals als Hörspiel. Es basiert auf dem gleichnamigen Buch (27.Auflage !) der Erfolgsautorin Gisa Pauly, das bereits 2007 als Buch und auch 2021 als Hörbuch mit einer Lesezeit von mehr als 6 Stunden veröffentlicht wurde. Der Autor Wolfgang Gerlach hat sogar eine Bühnenfassung geschrieben. Im Mittelpunkt der inzwischen abgeschlossenen 17 Folgen stehen immer die italienisch-stämmige Mamma Carlotta und die Insel Sylt

Inhalt

 

Nach dem Tod ihres Mannes reist die 59-jährige Mamma Carlotta aus Umbrien das erste Mal in ihrem Leben nach Sylt. Dort möchte sie endlich das Grab ihrer viel zu früh verstorbenen Tochter sehen sowie ihren Schwiegersohn Erik und seine beiden halbwüchsigen Kinder: Felix und Carolin. Doch der Kommissar Erik Wolf hat wenig Zeit. Die vermögende Erika Kern wurde erdrosselt aufgefunden. Sie lebte allein und war unbeliebt. Spuren gibt es wenig. Allerdings fehlten 40.000 €. Ein Raubmord? Auf der wunderschönen Urlaubsinsel leben einige „schräge Vögel“, die einschlägig verdächtig sind. Der Inhaber des Imbiss Tove Griess hat schon eingesessen. Fietje ist ein inselbekannter Spanner und Strandwächter. Vor allem aber ist der Fischhändler Andresen verdächtig. Er braucht dringend Geld für die überlebensnotwendige Operation seiner herzkranken Tochter in den USA und hat die Tote zuletzt gesehen. Genug Ermittlungsarbeit für die örtliche Polizei. Mamma Carlotto ist entsetzt und traut der Polizei wenig. Sie ermittelt undercover auf eigene Faust.

Doch die Ereignisse überschlagen sich. Der Fahrer des Händlers Andresen hat eine Beziehung zur Ehefrau! Welche Rolle spielt der frisch aus der Haft entlassen Stiefsohn der Toten? Dann wird die Frau des Fischhändlers erdrosselt aufgefunden. Es beginnt ein Wettlauf mit der Zeit. Und Carlotta mittendrin.

 

Das Hörspiel

 

Ein Stoff, der schon so viele Leser und Hörer hatte, kann nicht schlecht sein. Die Erfolgsmischung: gute Laune, meist augenzwinkernd; tiefe regionale Verankerung und kriminalistische Handlung. Und Bella Italia. Dem Hörer läuft der Speichel im Mund zusammen, wenn geschildert wird, welche Antipasti Carlotta für den Fischhändler vorbereitet.

Tatsächlich erweist sich das Hörspiel nach gemächlichem, ersten Teil als ausgesprochen spannend, unerwartet und rabenschwärzer. Gelegentlich etwas schlüpfrig. Es gibt jede Menge Verdächtige, Verfolgungen und Vermutungen. Das lässt Raum für eigene Bilder und Überlegungen.

Die Ermittlungen erfolgen durch Erik und seinem kleinen Team sowie der eigensinnigen Mamma Carlotta. Als Verdächtige spielen auf: die Verwandtschaft der reichen Fr. Keller und eine Reihe zwielichter Gesellen. Außer Mamma kommt der Hörer den Personen wenig nahe, auch wenn bei der Frau des Fischhändlers und seinem Fahrer, psychologische Probleme eine große Rolle spielen. Die Personen sprechen vorsichtig norddeutschen Dialekt. Mamma Carlotta nimmt man ihre italienische Herkunft allerdings nicht ab. Alle gut besetzten Sprecher machen einen ordentlichen Job, aber auch nicht mehr. Die Musik ist erwartungsgemäß norddeutsch geprägt. Passenden Sound und Geräusche gibt es viel, aber immer die Gleichen. Schritte auf dem lauten Boden, klapperndes Geschirr. Alles Dinge, mit denen der Hörer leben kann. Wäre da nicht die Erzählerin. Sie spricht den meisten Text, leider auch Dialoge in indirekter Rede zitierend, mit viel esoterisch angehauchter Musik unterlegt.  Insgesamt entsteht der Eindruck, dass sich hier ein Team an die Arbeit gemacht hat, dem die Routine und Erfahrung fehlte. Deutlich kürzer. Themen gewichten, manche stärker betonen, manche weniger. Und den Personen etwas mehr Leben einhauchen.

 

Fazit

 

Das Hörspiel ist atmosphärisch dicht, spannend und humorvoll. Ein Lehrer würde schreiben: Er/Sie hat sich redlich bemüht. Also ist noch viel Luft nach oben.

 

Wertung 65 %

 

Dauer ca. 160 Min. in zwei Teilen

Sonntag, 16. Juli 2023

Gift – Der neue Radio Tatort des RBB-Teams

© ARD / Jürgen Frey

 


Gift (Juni 2023, Folge 178) ist der fünfte Radio-Tatort des RBB mit dem nicht ganz einfachen Team um den psychisch labilen Christian Wonder und der dem Alkohol nicht abgeneigten Kommissarin Ariane Kruse. Wie gewohnt ist Tom Peukert der bewährte Autor.

 

Inhalt

 

Leonard Löber wird erschossen auf einem Hochsitz im Berliner Grunewald aufgefunden. Alles deutet auf einen Mord hin. Löber ist passionierter Jäger, verheiratet mit erwachsenem Kind und in der Müll-Entsorgung erfolgreicher Unternehmer. Die Tatwaffe muss ein Jagdgewehr gewesen sein. Ein Jagdgenosse als Täter?  Der Vorgänger der Pacht ist ausgesprochen schlecht auf Löber zu sprechen und hat reichlich Dreck am Stecken. Sein Alibi ist mehr als zweifelhaft. Aber Löber hatte eine eigenartige toxische Schlammmischung im Mund. War er in zweifelhafte Müllgeschäfte verwickelt? Aber mit Giftmüll hatte Löber eigentlich nie etwas zu tun, wie ein eingeschalteter Privatdetektiv ermittelt.  Und dann gibt es noch den Sohn Löbers aus erster Ehe, der sich mit seinem Vater zerstritten hat. Videoaufnahmen belegen, dass er zur Tatzeit in der Nähe des Hochsitzes seines Vaters war.

Reichlich Spuren und Motive, wenig handfeste Beweise. Auf der Suche nach weiteren Beweisen begibt sich Wonder ins tiefste Brandenburg und riskiert sein Leben um einen Mörder zu entdecken.

 

Das Hörspiel

 

Peukert ist ein solider Krimiautor. Eine überzeugende, überschaubare Anzahl von Motiven und Verdächtigen und dennoch gelingt ein überraschendes Ende. Alles nachvollziehbar und nicht abwegig. Die Suche nach der Lebensgeschichte Wonders kommt ebenso vor wie der Alkohol bei Kruse. Aber nur als kleine Randnotizen.

Eine weitere Stärke Peukerts ist die Charakterisierung von Figuren. Mit wenigen Sätzen gelingt es ihm, den Figuren ein Leben einzuhauchen.  Die Verdächtigen haben ihre eigene schwierige Lebensgeschichte, aber sind sie Mörder? Peukert deutet an, dass ja jeder Mensch seine Geheimnisse hat. Aber auch die Nebenfiguren werden plastisch: Der Privatdetektiv, der ein wenig an Garthmann vom NDR erinnert, der Nachrichtendienstler oder die Dame im Büro.

Der Titel erhebt einen hohen Anspruch und weckt beim Hörer entsprechende Erwartungen. Aber man darf ruhig verraten, dass es keinen Giftmord gab. Denn giftig wird es auch unter Wettbewerbern, Jägern, Familien sogar der Polizei. Der Hörer wird an wechselnden Spielorten, begleitet von hörenswerten Dialogen und passendem Sound zu einem spannenden, unerwarteten Ende geführt. Die Regie hat dafür gesorgt, dass die Menschen so sprechen wie sie sind. Ein wenig Brandenburg, ein wenig Berliner Schnauze und und. Alles fein beobachtet, geschrieben und in Töne gesetzt. Welch Widerspruch, dass der private Wonder der Wiege seines Lebens näherkommt und zugleich dem Tode nahe ist. Allerdings ist die Szene sehr abwegig und wenig glaubwürdig geraten.

 

Fazit

 

Es lohnt sich immer noch, keine Radio-Tatort-Folge zu versäumen. Wenn die Befindlichkeiten dieses Teams nur mitspielen, statt sich in den Vordergrund zu drängen, dürfen wir uns auf weitere Folgen dieses Teams freuen.

 

Wertung   80 %

 

Dauer ca.  53 Min.

 

 

Verfügbarkeit

 

ARD Audiothek

 

 

 

 

Montag, 10. Juli 2023

Der nette Herr Heinlein und die Leichen im Keller – Eine Kriminalgroteske

 


Im Juni 23 sendet der MDR als fünfteilige Mini-Reihe eine Kriminalgroteske des Autors Stephan Ludwig. Ludwig ist vor allem durch seine in Halle spielende Krimi-Reihe um den Kommisssar Zorn bekannt geworden. Zwischen 2014 und 2017 wurden vier Fernsehfilme für die ARD produziert, von denen zwei im Sommer 23 wiederholt werden. Das Hörspiel basiert auf dem im März 2023 bei Fischer/Scherz erschienen gleichnamigen Buch.

Inhalt

 

Norbert Heinlein betriebt einen Delikatessenladen in dritter Generation. Doch leider wirft dieser Laden nicht mehr viel ab. Als Hilfe hat er nur den stillen Autisten Marvin. Zum Glück hat er noch einige ruhige Mieter in seinem Elternhaus. Allerdings macht ihm sein dementer Vater mehr und mehr Sorgen. Im Übrigen führt Heinlein in netter Umgebung tapfer seinen Deliktessenladen mit ausgewählten Essangeboten. Der dunkle Nebel lichtet sich, als der Geschäftsmann Adam Morlok Stammkunde wird und Heinleins hausgemachten Pasteten zu schätzen weiß. Doch Morlok fällt nach dem Verzehr einer Pastete tot um. Da ist es doch eine große Hilfe, dass sich im Keller des Hauses noch ein Kühlraum befindet. Damit beginnt eine Reihe weiterer Un-und Zufälle, die dem armen Heinlein das Leben schwer machen. Schön, dass er noch seiner Adoptivtochter in Afrika Lebensweisheiten vermitteln kann.

 

Das Hörspiel

 

Die Reihe bietet dem Hörer das klassische Podcast-Zeitfenster: Ein halbe Stunde, das ist die durchschnittliche Dauer einer Fahrt zur Arbeit. Gelegentlich endet die Episode dann mit einem schönen Cliffhanger. Es gibt eine Erzählerin (Leslie Malton at it´s best), die die Ereignisse eher als teilnehmende Beobachterin schildert. Dazu viele kluge, absurde, witzige, spitzfindige Dialoge. Und es gibt die Monologe des Vaters Heinlein. Er liest seine Briefe an die Adoptivtochter im fernen Afrika laut vor.

Die Sprechrollen sind hochkarätig besetzt und der Vielsprecher Matthias Bundschuh passt diesmal bestens zur Figur des netten, unentschlossenen Heinlein.

Die Episoden-Reihe ist eine absurd-komische Kriminalgroteske. Immer einfallsreich, nie langweilig. Wenn erzählt wird, wie der Genießer Morlok stirbt, wirkt die detailreiche Schilderung schon gruselig. Schwarzer Humor, ganz beiläufig erzählt, wie es eher österreichische Autoren (neben Kai Magnus Sting) vormachen.

Es gibt aber nicht nur diese grotesken Szenen voller Nonsens, sondern auch etliche Nebenthemen wie Bürokratie, nervige Nachbarn und vieles mehr, in denen der Hörer einen beachtlichen Teil seiner eigenen Lebenswelt wiederfindet. Herr Heinlein öffnet uns ein kleines Türlein in unsere eigenen absurden Fantasien jenseits von Grauen und Dystopien.

Die Episoden werden intensiv von Musik, überwiegend an die 1920/30-er Jahre anklingend, begleitet, mal lauter, mal leiser, nie übertrieben. Swingende Musik zu den übelsten Gedanken.  In den Sprechpausen wird dem Hörer eine kleine Tanzcombo gegönnt.

Der Bearbeiterin Anja Herrenbrück ist es gelungen, das dialogarme, gelegentlich langatmige Buch in ein flottes, kurzweiliges Hörspiel zu verwandeln. Ach ja: Immerhin taucht noch Schröder aus der Zorn-Krimireihe auf. Ein bißchen Marketing muß sein.

 

Fazit

 

Die Episodenreihe macht vor, dass eine gut gemachte Kriminalgroteske ein Hörgenuss sein kann: Sprachlich erstklassig, unterhaltsam, lehrreich und gruselig. Auch für Freunde düsterer Hörspiele, die noch lachen können.

 

Wertung 80 %

 

Dauer ca. 150 Min.

 

 

Verfügbarkeit

 

MDR und ARD Audiothek

 

 

 

 

 

 

 

Sonntag, 2. Juli 2023

Der Grosse Gatsby – Hörspielinterpretation eines Romans der Weltliteratur

 

Buchcover

 

Der grosse Gatsby vom Amerikaner F. Scott Fitzgerald gilt als Klassiker der Weltliteratur. In den 1920-er Jahren geschrieben, wurde er erst gegen Ende des Zweiten Weltkrieges erfolgreich. Der Autor galt als Chronist des „Jazz Age“, der Periode in der nach dem 1.Weltkrieg der amerikanische Traum von Glück und Glanz entstand. Bis heute erscheint das Buch in immer neuen Übersetzungen und wurde mit vielen Stars mehrfach kommerziell erfolgreich verfilmt. Ein deutschsprachiges Hörspiel fehlte bislang.

Inhalt

 

Der junge, ziellose Nick Carraway versucht sich als Wertpapierhändler. Er zieht daher 1922 nach West Egg, Bundessstaat New York. Dort entwickeln sich Anfang der 1920-er Jahre Wirtschaft und Gesellschaft in einem rasanten Tempo. Das New York dieser Jahre verspricht exorbitanten Reichtum, Parties mit wildem Leben, übelster Kriminalität und Jazz ohne Ende. Sein einziger Bezug zu New York ist Daisy, eine entfernte Cousine, die in der Nähe lebt und den grobschlächtigen, aber reichen Tom Buchanan geheiratet hat. Kurz nach dem ersten Treffen mit den Beiden stellt Tom ihm seine Geliebte Myrtle Wilson vor, die attraktive Frau eines erfolglosen, naiven Autohändlers.

Neben Nick wohnt in einem palastartigen Anwesen der sagenumwobene Jack Gatsby. Niemand weiss, womit er seinen teuren Lebensstil mit endlosen Parties finanziert.  Eines Abends wird Nick überraschend persönlich von Gatsby zur Party eingeladen. Kurz darauf offenbart ihm Gatsby eine Bitte: Er möge ein Treffen mit Daisy arrangieren. Bevor sie sich für Tom entschieden hat, war sie die Geliebte von Gatsby der immer noch dieser Liebe nachtrauert. Nach einer wilden Party entscheidet sich Daisy für Gatsby. Die beiden fahren im Auto nach Hause und töten bei einem Unfall Myrtle Wilson.

Die Ereignisse überschlagen sich: Wie wird Tom Buchanan auf den Verlust der Frau und der Geliebten reagieren? Gibt sich der Autohändler mit der Version eines Unfalls zufrieden oder sucht er Rache?

 

Das Hörspiel

 

Wie im Buch wird die Geschichte aus der Perspektive des Ich-Erzählers Nick Carraway entwickelt. Er ist zugleich der ruhende Pol in dieser von Typen und Aufregung geprägten Story. Dem Hörer bietet sich ein Panoptikum der 1920-er Jahre, der Roaring-Twenties, das zunehmend bröckelt und sich entzaubert. Autor und Regie nehmen sich die Zeit diese Bild zu malen und zu zerstören. Die gut 230 Minuten werden nie langweilig. Musik und Geräusche sind stimmig, untermalend, ohne sich aufzudrängen. Alte Telefone, Eisenbahnen, Fahrstühle und natürlich Charleston.  Aber auch moderne Klänge. Musikalisch drückt sich eine Zwiespältigkeit aus. Die Besetzung ist sicherlich das Beste, was der Markt in Deutschland derzeit zu bieten hat.

Buch und Hörspiel sind viel mehr als ein Abbild der Roaring-Twenties. Im Grunde handelt es sich um eine Geschichte über den amerikanischen Traum des Strebens nach Glück, wie er schon 1776 in die amerikanische Verfassung geschrieben wurden (pursuit of happiness). Gatsby strebt nicht nach Reichtum, sondern sehnt sich nach Liebe. So sehr, dass er seine Existenz gefährdet.  Tatsächlich hat die Geschichte ein krimihaftes Ende. Alle vorkommenden Kriminellen, Partylöwen – und löwinnen, Durchschnittsmenschen sehnen sich nach einem eigenständigen geborgenen Leben. Diese Ambivalenz drückt sich schon in der Sprache des Autors aus. Sie ist flapsig, aber auch manchmal tiefgründig.

Die grosse Schwäche der Inszenierung ist die hoffnungslose Überzeichnung der Figuren. Nick sagt zu Beginn des Hörspiels zum Rat seines Vaters: „Seither neige ich dazu, mich mit meinem Urteil zurückzuhalten. Sich im Urteil zurückzuhalten, heisst unbegrenzt zu hoffen“ (O-Ton Hörspiel). Stattdessen wird unendlich gegickert, gebrüllt und gefeiert. Zwischentöne haben keinen Platz. Es tut weh, eine begnadete Sprecherin wie Birgit Minichmayr als Myrtle so platt und plump pöbeln zu hören. Auch Marc Hosemann als Tom Buchanan ist kein Meister der Zwischentöne. Diese Überinszenierung überdeckt die sprachlichen Feinheiten und die Tiefe der Charaktere und ist für 230 Minuten einfach zu viel des Guten. Der Bearbeiter hat dies offenbar bemerkt und verrät den Plot, abweichend vom Buch, schon in den ersten Minuten.

 

Fazit

 

Gute solide Unterhaltung, die der anspruchsvollen Vorlage nicht gerecht wird. Für literatur-beflissene eine weitere Interpretation, für Sprecher-Liebhaber eine Enttäuschung.

 

Wertung 70 %

 

Dauer ca. 230 Min. in zwei Teilen

 

 

Verfügbarkeit

 

ARD Audiothek

 

 

 

 

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