Sonntag, 10. September 2023

Marlov in Tschernobyl – Ein Muß für Crime-Noir Liebhaber

 

Quelle:WDR

Der Autor David Zane Mairowitz hat mit dem sowjetisch-russischen Privatdetektiv Yevgeny Marlov 2006 eine Kultfigur geschaffen. Und ja der kundiger Hörer ahnt es: Die Nähe zu Raymond Chandler Philipp Marlowe ist beabsichtigt. Da Marlov im Spieljahr des ersten Krimis  1934 (I killed Kirov) nicht ganz jung war, kann man ihn getrost als alterslos, vielleicht als unsterblich bezeichnen, wenn er 1986 immer noch ermittelt und fit wie eh und je. Anders als bei Chandler sind die Krimis von Mairowitz nicht unpolitisch und durchaus informativ. Dem produzierenden Sender WDR ist dann auch noch das Kunststück gelungen, Marlov bis heute mit dem genialen Udo Schenk zu besetzen, der sonst im Arztfernsehen verkümmert.  Bis heute (Juli 2023) sind 14 Krimis erschienen, immer betreut vom Regisseur Jörg Schlüter und lange begleitet von der Eingangsmelodie Walzer Nr. 2 von Schostakowitsch.

 

 

Inhalt

 

Moskau 1986. Es klingelt in der heruntergekommenen Absteige Marlovs. Der alte, zahnlose Marlov schleppt sich durch die Whiskey-Flaschen zur Tür: Eine junge Frau bittet ihn um Hilfe. Ihr Bruder ist zusammen mit 8 anderen Bergsteigern bei einem Lawinenunglück in der Ukraine in Prypjat ums Leben gekommen. Sie möchte seinen Leichnam nach Moskau holen. Prypjat? Bergsteigen? Das ist doch weit und breit flaches Land ! Marlovs Schnüfflerinstinkt wird wach und nüchtern. Aber seine Skepsis bleibt? Wie hat die Frau ihn gefunden? Sei´s drum.

Beide begeben sich auf die lange Reise in das Gebiet, das 1989 durch die Katastrophe von Tschernobyl berüchtigt wurde. Doch der Zugang ins Leichenschauhaus wird Ihnen verwehrt. Das stachelt Marlov endgültig an, nicht aufzugeben. Es beginnt eine Suche nach der Leiche und der Wahrheit. Immer gestört durch brutale Geheimpolizei, lebensgefährliche Situationen. Der Zugang zum Gebiet, in dem die Toten gefunden wurden, ist militärisch hermetisch abgeriegelt. Marlov wird klar, hier soll etwas Hochdramatisches verborgen werden. Aber auch der Passierschein von sowjetischen Präsidenten Gorbatschow hilft ihm nichts gegen die lokale Polizeimafia. Was bedeutet der Hinweis: Wermut? Das  ist die deutsche Übersetzung des Ortes Tschernobyl. Der Stern Wermut ist zugleich eine Mahnung begangene Sünden nicht zu vergessen.

 

Hörspiel

 

Wie alle Marlov-Krimis ist es eine Mischung aus hoffnungslos überzogenen hard-boiled Szenen und politischen Intrigen und Wahrheiten. Mit seiner alten Luger und einem alterslosen Kämpferherz rettet er sich aus jeder Brenzligkeit. Es ist aber nie langweilig, weil dem Autor Mairotwitz die Ideen nicht ausgehen, wie sich Marlov wieder rettet. Und dann gibt es noch die Kontakte. Marlov kennt jeden KGB-ler, sei er auch noch so weit von Moskau entfernt. Und natürlich kennt er Mischa im Kreml, zu dem er sich Zugang verschafft hat.

Erzählt wird die Geschichte von Marlov selbst.  Dem folgen die vielen spannenden Szenen und Spielorte: Leichenschauhaus, ukrainische Wälder, Eisenbahnwagon, Marlovs Absteige und vieles mehr. Die Regie fügt das alles durch wunderbare akustische Unterstützung zusammen, leider ohne Schostakowitsch. Auch der Hörer, der die Handlung für baren Unsinn hält, wird das Zuhören geniessen.

Aber Mairowitz ist auch politisch. Er verlegt ein Ereignis aus dem Jahr 1957 an einen anderen Ort und in eine andere Zeit. Schon 30 Jahre vor Tschernobyl hat die Sowjetunion vertuscht und gelogen, um eine reale Katastrophe zu verheimlichen. Alle Marlov-Krimis sind eine düstere Mahnung vor den lebensgefährlichen Machenschaften eines Staates, der dem Militär und der Geheimpolizei das Regieren überlässt.

Ein Wermutstropfen: Die Schlußszene deutet an, es könne nun doch der letzte Marlov gewesen sein. Wer führt künftig private Schnüfflerfeldzüge gegen den kriegführenden Tyrannen Russlands?

 

Fazit

 

Nicht jeder wird Marlov mögen. Es gibt in der Episodenreihe schwächere und bessere Stücke. Aber es ist schön, in einer sich extrem wandelnden Welt etwas verläßlich Wiederkehrendes zu hören, das so rücksichtslos hart und spannend ist. Und die Männer unter den Hörern müssen ihre dunkle Seite nicht ausleben, sondern hören ihr eigenes Kino im Kopf.

 

Wertung  90 %

 

Dauer  ca. 52 Minuten

 

 

Verfügbarkeit

 

ARD Audiothek oder beim WDR

 

 

 

 

 

 

 

 

 


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