Samstag, 18. November 2023

Die Spurlosen – Heinrich Böll auf Krimi-Pfaden

 

Buchcover

Der Ehrgeiz der ARD Audiothek verschafft dem Hörer die Möglichkeit, nicht nur zu ihrer Entstehungszeit populäre Stücke zu hören, sondern auch andere Archivschätze. So wurde in der Rubrik Schlechte Gesellschaft Ende August ein Hörspiel des Literaturnobelpreisträgers Heinrich Böll von 1957 veröffentlicht. Es handelt sich dabei um ein Originalhörspiel im Auftrag des NDR. 

 

Inhalt

 

Der Kaplan Brühl wird nächstens von bewaffneten Räubern gezwungen, sie zu begleiten. Er soll alles, was er für die heiligen Sakramente benötigt, mitnehmen. Auf der Fahrt in einer edlen Limousine erfährt er Näheres. Eine Frau ist lebensgefährlich erkrankt. Die Räuber gehen rücksichtsvoll mit ihm um. Er ist zwar gezwungen, eine Weile zu bleiben, darf sich in der Wohnung aber frei bewegen. Er kommt in Kontakt zu der Frau, die sich nach wenigen Tagen erholt.  Während der Prälat Pölzig (Hans Paetsch!) und Pfarrer Druven sich fragen, wo der Pfarrer verblieben ist, meldet sich die Polizei. Kriminalpolizist Kleffer (Siegfrid Lowitz) berichtet von einem Banküberfall. Die Räuber haben keine Spuren hinterlassen und waren schon mehrmals international erfolgreich, weil jeweils über Monate offenbar örtliche Helfer einen Überfall vorbereitet hatten. Kleffer verdächtigt den verschwundenen Kaplan, der Unterstützer bei diesem Raubüberfall gewesen zu sein. Doch auch diesmal gibt es keine Spur. Aber der Kaplan taucht nach einigen Tagen wieder auf und weigert sich, trotz Drohung mit Gefängnis, irgendwelche Aussagen zu machen.

 

 

Das Hörspiel

 

Das Hörspiel hat eine deutlich kriminalistische Handlung, ist aber letztlich eine politisch-moralische Wertung über die Frage Recht und Unrecht oder Umgang mit der Vergangenheit. Entsprechend nüchtern ist das Hörspiel inszeniert. Keine Musik, wenig andere Töne. Das Hörspiel besteht nur aus Dialogen, die den Sprechern ermöglichen, ihre Kunst zu Gehör zu bringen. Die Polizei ermittelt so gut es geht, die Kirchenmitarbeiter sorgen sich um die Gesinnung des Verschwundenen und der Kaplan entwickelt Verständnis für die Räuber je mehr er über ihre Geschichte und ihr Selbstverständnis erfährt. Heute würde man womöglich von Stockholm-Syndrom sprechen. Das alles wird in einer Sprache erzählt, die auch heute noch gut zu hören ist und nicht altbacken klingt. Da der Autor Böll nicht wertet und alle Personen irgendwie nachvollziehbar reagieren, bleibt es am Hörer zu entscheiden, was richtig und was falsch ist.

 

Zum Hintergrund

 

Die 1950-er Jahre waren eine Hochzeit der Hörspielkrimis. Allein im Jahr 1957 gab es 117 Krimistunden im Radio, 2022 lediglich 64. Darunter die bekannten Namen Durbridge, Lester Powell, die Beckers mit Dickie Dick Dickens. Allesamt Straßenfeger. Das Nachkriegshörspiel wurde von den „Literaten“ aufgebaut. Es war also nicht erstaunlich, das namhafte Autoren sich ein verlässliches Zubrot beim Radio gönnten. Im selben Jahr 1957 ist auch Dürrenmatts Abendstunde im Spätherbst erschienen. Kriminalistische Stoffe aus der Hochliteratur wurden schon immer als Hörspiel bearbeitet: Schiller, Seghers, Fontane u.a. Aber nur wenige anerkannte „Literaten“ haben Originalhörspiele fürs Radio geschrieben: Dürrenmatt mit dem Kommissar Bärlach, Martin Walser mit Tassilo Grübel oder Peter O. Chotjewitz. Heute ist der Radio-Tatortautor und lesenswerte Mosebach eine Ausnahme.

 

 

Fazit

 

Für den Liebhaber von Kriminalhörspielen lohnt es auf jeden Fall, literarisch anspruchsvolle Krimis älterer Machart zu hören. Sorgfältig geschriebene Textvorlagen, hervorragende Sprecher, die sich deutlich von den Lidl-Stimmen schlecht bezahlter Synchronsprecher unterscheiden.

 

Wertung 70 %

 

Dauer ca.61 Min.

 

 

Verfügbarkeit

 

ARD Audiothek

 

 

 

 

 

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