Montag, 20. Dezember 2021

Brexit Blues – Ein Abschiedsfeuerwerk im Nebel

 

 

Mit Brexit Blues legt der Autor Jan Decker die offenbar (Klappentext NDR) letzte Folge einer Krimitrilogie vor, die im niedersächsischen Osnabrück spielt. Alle Fälle beziehen sich auf besondere, wohl typische Situationen für die Stadt und schildern eher bizarre Mordfälle. Im Mittelpunkt der kriminalistischen Aktivitäten steht ein eigenwilliges Kommissaren-Trio. Der Erstling Fado Fatal (2017) spielt in einem portugiesischen Kulturverein und beleuchtet auch die schwierige Situation der „Gastarbeiter“. Die Kalte Sophie (2019) hat die Machenschaften der Atom-Mafia zum Hintergrund. Auch die älteren Episoden stehen derzeit zum Download zur Verfügung. Jede Episode ist eigenständig.

 

Die Story

 

In Osnabrück wird an einem frühen Abend 2021 eine Tagesmutter erstochen. Die Tür zu ihrer Wohnung stand offen, es gibt aber keine weiteren Zeugen. Der Fall kommt in die Zuständigkeit
es kurz vor der Pension stehenden Kommissars, seinem vermutlichen Nachfolger und einer neuen Assistentin. Jeder von Ihnen nimmt sich des Mordes mit unterschiedlichem Ehrgeiz an. Sehr schnell gerät der ewig bettelnde Sohn der Mutter in Verdacht. Sein Vater und der Ex-Ehemann war jahrelang für die britische Armee in Osnabrück tätig und in den 80-er Jahren lebensgefährliches Opfer eines IRA-Anschlages. Dieser Anschlag wurde nie aufgeklärt. Gibt es Verbindungen zu diesem Cold Case? Welche Rolle spielen Liebesgeschichten? Lebt die IRA nach dem Brexit wieder auf? Hat der alternde Kommissar Leichen im Keller?

Die Suche nach dem Täter ist das Wühlen in der Vergangenheit mit immer neuen Verbindungen und Verwicklungen. Das beschauliche Osnabrück scheint in die große Weltpolitik geraten zu sein.

 

Das Feuerwerk

 

Osnabrück war tatsächlich über Jahrzehnte von der Anwesenheit einer britischen Garnison mit mehr als 14.000 Militärs geprägt. Ihre Aufgabe war es, für Sicherheit zu sorgen. Damit war Osnabrück aber auch Teil der innerbritischen Konflikte, insbesondere des brandgefährlichen Nordirlandkonfliktes. Diese Konflikte zogen und ziehen sich bis heute mitten durch Familien, wie das Hörspiel sehr schön zeigt. Die Story drückt auch die Sorge vor einem Wiederaufleben dieser Konflikte durch den Brexit aus, die ja nicht unbegründet ist, wie aktuellen Nachrichten zeigen. Der Song „It´s all over now“ in der Version von van Morrison wird immer wieder angespielt und ist für die Lösung des Falles wichtig. Als Blues spricht der Song die Trauer und den Verlust, aber auch die Hoffnung auf bessere Zeiten an.

Die Handlung ist nicht im engeren Sinne spannend. Aber der Hörer verfolgt neugierig die tiefen Verästelungen der als Täter in Frage kommenden Personen. Da geht es um Politik, Familien-und Liebesbeziehungen, Zuständigkeiten. Der Hörer muss seine Ohren spitzen, um den vielen kleinen Szenen zu folgen, die nicht immer durch die Zwischenmusik zu erkennen sind.

Der pensionsnahe Kommissar Wittkowski erteilt Befehle an sein Team, scheint aber durchaus verwickelt! Der Assistent und mögliche Nachfolger Srockhövel entwickelt fleißig Motive und Theorien, während seine Assistentin die Basisarbeit erledigt. Die drei sind ein liebenswertes Team und werden toll gesprochen. Überhaupt gehören die Sprecher zu den Highlights dieses Feuerwerks.

Das Hörspiel hätte das Zeug zu einer sehr schönen Milieu-Studie gehabt.

 

Der Nebel

 

Es kommt selten vor, dass ein Rezensent zugeben muss, trotz mehrmaligen Hörens nicht alles verstanden zu haben. Die Familienbande entwirren sich nur bei höchster Konzentration, die zeitlichen Zusammenhänge kann man sich wirklich nicht merken und nachvollziehen.

Am bedauerlichsten ist aber der immer wieder auftauchende ironische Ton, der für dieses ernste Thema überhaupt nicht angemessen ist. Mit vibrierender Stimme sagt John Miller, Opfer von drei Anschlägen: „Too much blood !“. Darauf der Spockhövel: „Ja, ja das böseste Blut gibt es in Familien.“ Leider schlägt manchmal selbst die Musik die falschen Töne an. Beim Kino im Kopf möchte man nicht schon die Interpretation vorgespielt bekommen.

Ärgerlich sind auch die vielen Nachlässigkeiten und Ungenauigkeiten. Die Chronologie der Ereignisse scheint mir an einigen Stellen fehlerhaft. Ist Paddy nun ein Dackel oder einer der irischen Verdächtigen? Der immer wieder gespielte Song wurde schon 1966 von van Morrison eingespielt und hat wenig mit dem Nord-Irland-Konflikt zu tun. Es ist auch eher Folkrock statt Blues. Gibt ein Kommissar seinem Team wirklich den Auftrag ein Attentat nach 40 Jahren aufzuklären, obwohl weiterhin das britische Militär allein dafür zuständig ist und er offensichtlich verwickelt war?

Gelegentlich hat man den Eindruck dem Hammer Radiotatort nahe zu sein. Wittkowski erinnert an Vorderbäumen in seiner Rolle als Chef, spricht aber wie Latotzke.

 

Dauer 60 Min.

 

Fazit

 

Die Idee und die Story sind toll, die Sprecher hörenswert. Es wurde aber eine Chance vertan und nur wenig Hörer machen sich auf den mühsamen Weg durch die verwirrenden Szenen.

Vielleicht ist es gut so, dass die Episodenfolge damit zu Ende geht, denn die beiden Vorläufe sind auf jeden Fall deutlich besser.

 

 

Verfügbarkeit:

 

In der Audiothek und beim NDR einschließlich der älteren Episoden.

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