Mittwoch, 11. Mai 2022

Der kalte Onkel – Staffel 2 von Caro ermittelt

copyright: rbb

 

 

Wie einem beim Kalten Onkel warm ums Herz wird

 

Der RBB hat kurz nach der 1. Staffel von Caro ermittelt (Strudel) mit dem Kalten Onkel eine zweite Staffel in 12 halbstündigen Episoden veröffentlicht. Hauptperson ist wiederum Caro(line Labusch), die unbekümmert, neugierig und akribisch in ihrer Familiengeschichte ermittelt. Für Menschen, denen der RBB längeres Zuhören ohne Augentätigkeit nicht zutraut, bietet der RBB auf Youtube eine Audio-Video-Fassung an.

 

Der Inhalt

 

Ihre Mutter überbringt Caro am Telefon zwei schlechte Nachrichten: Onkel Jochen, 78 Jahre, ist gestorben. Das kann in dem Alter passieren. Aber er wurde von Amts wegen bestattet! Wie das? Jochen war immer das schwarze Schaf der Familie, aber das hatte er nicht verdient.

Caro beginnt zu ermitteln. Sie verfolgt die Stationen seines Lebens über Berlin, Potsdam, Paris, New York. Und wie in einem Kaleidoskop ergeben sich mit den gleichen Zutaten immer neue Bilder. Der verarmte, alte Jochen. Der schwule Onkel, der in der Pariser Kunstszene heimisch wird und in seinem Lover, die „beste Frau seines“ Lebens kennenlernt. Jedenfalls für kurze Zeit. Der junge Jochen, der Kunstmaler werden möchte und seine mangelnde Begabung, durch aufsehenerregende Kunstdiebstähle wettmacht.

Wieso landet Jochen im Armengrab, wo er doch adlige Verwandtschaft hatte und sein Großvater für kurze Zeit gegen Ende des 1. Weltkrieges Reichskanzler war?

Caro arbeitet sich von Episode zu Episode vor und der Hörer wünscht, es möge kein Ende haben, weil jedes Mal ein neues Bild entsteht.

 

 

Das Hörspiel

 

Die Produzenten bezeichnen Caro ermittelt als True-Crime Comedy. Tatsächlich basiert diese Staffel auf der realen Recherche von Caroline Labusch. Ein Krimi ist es nicht, weil es einen Toten gibt (der im übrigen eines natürlichen Todes gestorben ist), sondern weil jede Episode einfach spannend ist und der Hörer seine Neugier nur durch Binge-Listening stillen kann. Comedy ist es, weil nichts Witziger ist als die Wirklichkeit. Eher verschmitztes Schmunzeln als Schenkelklopfen.

In jeder Episode ermittelt Caro an einem anderen, besonderen Ort in der großen weiten Welt (Berlin, Paris, New York, Künzelsau) und befragt unbekümmert teils skurrile Zeitzeugen, die dann im Original oder von ihren Partnern eingespielt werden. Caro spielt immer sich selbst, während Julia Jenkins und Rainer Sellien in erstaunlich viele Rollen schlüpfen. Aber auch die originalen Zeitzeugen tragen zum Erfolg bei. Wenn der Hörer erstaunt das Gesicht verzieht, spielt die elektronische Orgel, die dazu passenden Töne.

Die Regisseurin Marion (Rigoletto) Pfaus erinnert mit ihrer wirklichkeitsnahen, aber eben doch Kunstinszenierung ein wenig an Brecht. Sie schaut dem Volk aufs Maul, akzeptiert, dass manches Telefonat nicht zu verstehen ist oder die beiden Zweitstimmen, zweifelnd in das Skript reinsprechen.

Es ist nicht immer ganz leicht, die jeweiligen verwandtschaftlichen Beziehungen parat zu haben. Auch der zeitliche Zusammenhang erfordert Konzentration. Für manchen Hörer sind in den letzten Episoden die englischen Telefonate eine Herausforderung.

 

Für mich ist das Hörspiel vor allem eine Geschichte über Wirklichkeit und Wahrheit. Wieviel von dem Gespielten ist echt? Was ist Original gesprochen, was nachgesprochen? Studio oder Originalschauplatz? Caro ermittelt die Fakten und kommt der Wahrheit immer näher. Aber die Wahrheit hat viele Farben und Facetten und ist immer auch Wertung. Caro hilft, diesen unendlichen Wert zu verstehen. Aber Walser hat in einem seiner Romane schon darauf aufmerksam gemacht: Wenn etwas ist, ist es nie so, wie es gewesen sein wird.

 

Caro

 

Eine Figur wie Caro kann vielleicht nur aus Berlin stammen. Sie hat die richtige Spürnase, kann aber auch peinlich sein und über sich selbst lachen. Die Art wie Caroline Labusch ihre Caro spricht, ist unnachahmlich lebensecht, obwohl immer klar die Studiosituation zu hören ist. Aber vor allem ist Caro neugierig, geduldig und akribisch. Damit verkörpert sie Werte, die gerade Gefahr laufen, ins Antikenmuseum zu wandern. Gleichwohl nimmt sie die Haltung eines kleinen Kindes an, das die Welt vor allem wahrnimmt, wie sie ist und nicht schon weiß, was gut und richtig ist.

 

Einige Themen

 

Jochen ist eine schillernde Person und mehr als das Schwarze Schaf, dessen Träume und Visionen lange vor dem Armengrab enden. Er wirkt auf Menschen einnehmend und sympathisch, findet aber dennoch keine Bindung im und zum Leben. Sein Leben war ein ewiges Suchen.

Irgendwann hat ihn die Familie nicht mehr gesucht. Wie eng sind die vermeintlichen Familienbande? Binden Sie mehr als adlige Herkunft? Gelegentlich blickt Caro mit Schrecken auf die Geschichte ihrer Familie, wie wohl jeder, der diesen Schritt wagt. Höhen gibt es nicht ohne Tiefen.

Zu diesen Tiefen gehört das Begräbnis. Mit Grausen lauscht der Hörer den detailliert beschriebenen Vorgängen um eine Sozialbestattung.

Ein Interview mit dem berühmten Berliner Anwalt und ehemaligen Bundestagsabgeordneten Christoph Ströbele zu den Kunstrauben (Ströbele muss nur in uralte Akten schauen) führt letztlich zu einer anspruchsvollen Erörterung zum Verhältnis von Recht und moralischen Grundsätzen.

 

Fazit

 

Dem Team ist ein hörspielerisches Kunststück der Extraklasse gelungen. Eine massentaugliche Klangkunst. Es ist spannend, witzig und gelegentlich etwas gruselig. Eine tolle Inszenierung, die zum Nachdenken anregt und Lust auf mehr macht.

 

Wertung 95%

 

 

Verfügbarkeit

 

In der ARD Audiothek oder beim RBB ab dem 05.02.2022

 

Playlist: https://www.youtube.com/playlist?list=PL2Rn54bVHp6oeVBNUGOWjLP0Ird08kdx_

 

Der Stammbaum

Dank an Caro

 Ein paar Hörproben


 

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