Montag, 9. Oktober 2023

Mein Lieblingstier heisst Winter – Ein Hörstück für die Bionade-Bourgeoisie?

 

Buchcover

 

Der österreichische Dramatiker Ferdinand Schmalz war 2021 mit seinem gleichnamigen Debütroman der Shooting-Star der Literaturszene. Der NDR hat sich im Sommer 2023 an eine Hörspielfassung gewagt, die vom Autor selbst formuliert wurde. Noch bevor dies Hörspiel veröffentlicht wurde, hat der Autor eine dramatische Fassung als Schauspiel erarbeitet, die im Frühjahr 2023 in Frankfurt Premiere hatte.

 

Inhalt

 

Der Wiener Vertreter für Tiefkühlkost Franz Schlicht hat ein Problem. Er findet die Leiche nicht.

Schlicht hatte einen älteren Stammkunden, der sich nur von tiefgefrorenem Rehragout ernährte. Nun wollte sich der demente Dr. Schauer zum Sterben in seine Tiefkühltruhe legen. Der Familie wegen mochte er dort aber nicht aufgefunden werden. Schlicht solle ihn nach ein paar Tagen rausholen und den gefrorenen Leichnam irgendwo auf einer Lichtung auftauen lassen. Diesen Gefallen wollte der schlichte Vertreter dem honorigen Manne gerne tun. Allerdings war Dr. Schauer weder in der Truhe noch sonst wo zu finden. Also ermittelt er Schlicht eigener Sache. Dabei trifft er auf schräge Verwandte, illustre Freunde und die Chefin des Reinigungsunternehmens Schimmelteufel und viele andere.

 

Das Hörspiel

 

Abgesehen von der Tatsache, dass der Franz Schlicht ermittelt und es einen Toten gibt, handelt es sich hier nicht ansatzweise um einen Krimi oder eines seiner Untergenres. Offenbar möchten die Kuratoren der Audiothek die Hörerzahl eines artifiziellen Hörspiels erhöhen, indem sie es dem beliebten Genre Krimi zuordnen. Bei den Ermittlungen trifft Schlicht auf die unterschiedlichsten Typen, die in all ihrer Be-oder Absonderheit gespielt werden: einem Ingenieur, der sich selbst eingemauert hat; einem Ministerialrat, der Nazi-Weihnachtsschmuck sammelt und der ehemaligen Putzfrau Teufel.  Das alles geschieht in einer dialektgefärbten, Wiener Kunstsprache mit vielen klugen Weisheiten und ebenso vielem Blödsinn. Das weckt eine gewisse Neugier, ist aber nicht spannend. Ist eine Formulierung wie „Bewusstsein ist Pistazieneis“ nun ein Geniestreich oder Schwachsinn? Wer den Schwarzen Humor österreichischer Autoren wie Haderer und Co. kennt, hat dies alles auch irgendwie schon gehört. Die Regie hat wahrgenommen, dass das Zuhören mit der Zeit anstrengend wird und bietet ein wahres Feuerwerk akustischer Reize: viel Stimmkunst, extrem viel technische Spielereien wie Echo, Hall, versetzte Wiederholungen etc. Dem Hörer wird damit jede Chance genommen, sich ein eigenes akustisches Bild dieser absurden Welt zu machen. Und dieser Blick auf eine absurde Welt und die Menschen, die in ihr zurechtkommen (müssen), löst Nach – und Bedenken aus. Aber selbst für den gutwilligen Hörer ist es anstrengend, dem überladenen Text, den vielen Menschen und Szenen zu folgen. Das Buch selbst umfasst gerade mal 192 Seiten, die Bühnenfassung wird in 90 Minuten ohne Pause runtergespielt. In der Kürze liegt die Würze.

 

 

Fazit

 

Dieser literarisch erfolgreiche Stoff ist sicher nicht leicht umzusetzen. In der Schule würde unter dem Aufsatz wohl stehen: Er/Sie hat sich redlich bemüht. Kein Krimi und selbst unter den Freunden der Literatur wird es nur eine gewisse Minderheit gefallen. Soundfans reicht auch, die erste halbe Stunde zu hören.

 

Wertung 60 %

 

Dauer ca. 110 Min.

 

 

Verfügbarkeit

 

ARD Audiothek oder direkt beim NDR

 

 

 

 

 


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