Donnerstag, 24. Oktober 2024

Tatbestand – 40 DDR-Krimifälle auf 5 CD´s

 


 

Der Verlag Pidax kümmert sich tapfer um nicht oder schlecht erhältliche Hörspiele und bringt sie preiswert auf CD und in den Streaming-Diensten zu Gehör. Tatbestand ist eine Hörspielreihe aus den Beständen des Rundfunks der DDR. Sie lief mit insgesamt 40 Folgen von 1973-1989 und war ausgesprochen populär. Die Kriminalhörspiele der DDR haben ja bis heute keinen schlechten Ruf und tauchen regelmäßig bei Pastewka auf. Tatbestand hatte allerdings einen erzieherischen Charakter. Alle Fälle basieren auf realen Ereignissen und ihren Gerichtsakten und werden von einem Staatsanwalt ausführlich kommentiert. In gewisser Hinsicht also True-Crime. Für manchen Autor war es der Start für eine erfolgreiche Autorenzukunft. In der letzten Folge ist der bekannte Schauspieler Ulrich Mühe zu hören. Pidax packt die 40 Folgen in jeweils eine CD mit 8 Hörspielen und einer Laufzeit von etwas 380/90 Minuten. Jeder Fall ist in sich abgeschlossen.

 

 

Die Hörspiele

 

Die Kriminalfälle dauern meist zwischen 30 und 40 Minuten, davon umfasst der eigentliche Kriminalfall manchmal lediglich 15 - 20 Min. Dann folgt der Kommentar des Staatsanwaltes, den man getrost überspringen kann. Die Fälle sind unterschiedlichster Art, überwiegend im Bereich der Kleinkriminalität, meist in Zusammenhang mit der Arbeit und mit viel Verständnis für die handelnden Personen. Man hört deutlich, dass es eigentlich in der DDR keine Übeltäter gegeben haben kann. Das Kollektive und Kollegen auch eine Mitverantwortung für ihrer Abweichler haben, ist auch im kapitalistischen Westen eine wichtige Erinnerung. Ein schönes Beispiel gibt der erste Fall „Ein Teller Makaroni“ ab. Inhalt: „In der Konfliktkommission in einem Berliner Elektrogerätewerk (VEB Elektromat) wird der Fall einer vorsätzlichen Körperverletzung untersucht. Im Verlaufe der Ermittlungen werden Mängel in der Betriebsleitung bezüglich der Verpflegung in der Kantine während der Nachtschicht und Schulprobleme beim Sohn des Beschuldigten aufgedeckt.“ Alles etwas hausbacken, aber lebhaft inszeniert, meist ohne Erzähler. Der Hörer taucht klanglich und sprachlich in die Alltags-und Arbeitswelt der DDR, die Dialoge klingen als seien sie Live-Mitschnitte, einschließlich der Dialektfärbung. Eine Erinnerung an die hochqualifizierte Sprechkunst in der DDR.  Musik gibt es nur am Anfang, die Soundkulisse ist immer szenentypisch. Alles unpolitisch und ohne West-Bashing, aber auch ohne Spannung, weil ja klar ist, dass die Täter erwischt werden. True Crime Serie in der DDR bevor es als Podcast Mode wurde. Beeindruckend, dass die Dramaturgie bei so vielen wechselnden Autoren ein durchgängiges gleiches Hörbild erzielt hat. Über die ausführliche juristische Kommentierung des Staatsanwaltes deckt man besser den Mantel des Schweigens. Er wird nichts bewegt haben, die Fälle erzählen ihre eigene Geschichte.

 

Fazit

 

Die Hörspiele sind eher für den Sammler und eingefleischten Sprach-Liebhaber geeignet, der tapfer über die Dialoglastigkeit hinweghört. Ehemalige DDR-Bürger werden nostalgische Freude haben. Bei den Streaming-Diensten funktioniert ja auch ein Reinhören.

 

 

Wertung 65 %

 

Dauer je Fall zwischen 30 und 45 Min.

 

 


 

 

 

 

 

Montag, 14. Oktober 2024

Running backwords – Eine Zeitreise in die letzten Tage

 

Joseph Bolz auf Wikipedia

Joseph Bolz hat bisher drei Originalhörspiele veröffentlicht, die sich immer im Grenzbereich zwischen Krimi, Sci-Fi und Grauen bewegen. Er greift aktuelle Themen aus der Innen-und Außenwelt auf und ist immer neugierig auf der Suche nach sich selbst wie auf sein Youtube-Auftritt unter dem Namen Joseph DeChangeman zeigt.

 

 

Inhalt

 

Die jugendliche Zeynep hat eine beinahe tödliche Attacke überlebt. Das übersteht niemand unbeschadet. Eine Therapeutin soll ihr beim Weg ins normale Leben helfen. Doch was heißt schon normal: Zeynep Leben verläuft plötzlich rückwärts. Nach Sonntag kommt der davor liegende Samstag und immer so weiter. s. Eine wichtige Stütze ist ihre kleine Schwester Damla, die immer ein offenes Ohr hat und auch mal ihren Kühlschrank auffüllt. Zeynep hat nicht nur Probleme, sie kann damit umgehen, den Weg zurück zu gehen. Das hat auch etwas Witziges. Aber es taucht auch die Frage auf: Hätte ich etwas anders machen können oder müssen, um der Attacke aus dem Weg zu gehen?

 

Das Hörspiel

 

Es ist ein Kammerspiel, wenige Personen, wenige Szenen und Spielorte. Spärliche Musk-und Geräuschkulisse. Es ist auf jeden Fall auch ein Krimi, weil der Hörer von der Attacke weiß, aber erst sehr spät erfährt, was genau geschehen ist. Es ist eine Zeitreise  zurück in die Vergangenheit, die physikalisch gesehen unmöglich ist und paradoxe Situation erzeugt (Großvaterparadox). Die auf den ersten Ton also absurde Handlung begleitet den Hörer in die Innenwelt einer Frau, die auf der Suche nach möglicher Schuld fast verrückt wird und unter einer posttraumatischen Störung leidet. Der Autor hat keinen düsteren Psychotext geschrieben, sondern drückt das Leben in seiner Vielfalt aus: Angst, Freude, Frotzeleien und vieles anderes. Die Spielfreude und das Sprachtalent der Sprecherinnen lassen Absurdes alltäglich erscheinen. Die Dialoge der beiden Schwestern klingen für den Autor, der mit zwei Schwestern groß wurde, durchaus vertraut.  Auch wenn die Welt an Leben, Tod und Schuld gerade in anderen Dimensionen leidet, erleben genügend Menschen traumatische Situationen, die ausweglos scheinen. Nahezu jeder kennt das Wort Flashbacks. Und möchte nicht gelegentlich jeder die Vergangenheit verändern?

Man kann darüber diskutieren, ob der männliche Autor nicht in gewisser Weise eine kulturelle Aneignung betreibt. Im Hörspiel geht es ausschließlich um Frauen.

 

Fazit

 

Das Hörspiel ist schon speziell. Der Hörer muss sich auf viel Psycho, aber wenig Krimi einlassen. Daraus ein so hörenswertes Kammerspiel zu machen, ist allerdings eine Leistung.

 

Wertung 80 %

 

Dauer ca. 50 Min.

 

Verfügbarkeit

 

ARD-Audiothek

 

 

 

Sonntag, 6. Oktober 2024

Hiddenseekrimis – 4 Kunststücke von Werner Buhss

 

Clara Arnheim; Public domain

 

Der Autor Werner Buhss (1949 – 2018) war in gewisser Weise ein typisches DDR-Gewächs. Bestens ausgebildet, ein unabhängiger Denker, ein brillanter Autor, dem Gläschen Bier nie abgeneigt. Immer an der Grenze zum Existenz-Minimum lebend. Inspiration und Erholung holte er sich auf der Ostseeinsel Hiddensee, dem Refugium für Künstler zu DDR-Zeiten. Buhss schrieb mehr als 20 Hörspiele, darunter viele Krimis. Die ARD Audiothek hat die vier Krimis, die auf der Insel spielen nun ausgegraben und zutreffend der Rubrik „Ermittlerkrimis“ zugeordnet. Der Ermittler selbst, Ole Pleskow, lebt und arbeitet allerdings in Stralsund.

 

 

Das Gemeinsame

 

Im Zentrum steht der Stralsunder Kommissar Ole Pleskow unterstützt von dem örtlichen Polizisten Hübner und einem kleinen, wechselnden Team. Keine liebenswerten Charakter, sondern Menschen mit Schwächen und Stärken. Über alle Folgen hinweg spricht Michael Klobe den Hübner wunderbar schratig mit dem running gag: „Ich will mal sagen.“ Die übrigen Sprecher wechseln häufig, Kai Maertens als Ole in der letzten Episode eine Fehlbesetzung.  Die Hiddenseekrimis vermitteln eine insel-typische Atmosphäre, die nicht plump idyllisch klingt. Der Hörer folgt eher ruhig den Erkundungen von Ole, der auch schon mal persönlich involviert ist. Der Autor Buhss achtet auf jedes Wort. Es ist witzig, lebendig und gelegentlich tiefgründig. Sein wichtigstes Stilmittel sind knappe Dialoge. Die Szenen sind immer stimmungsgeladen. Die Plots sind überzeugend, Buhss ist ein feiner Psychologe ist und webt gleichzeitig politische Themen ein. Aber im Grunde geht es immer um Menschen und ihre Schicksale. Es geht eher um Schuld und Sühne als um rechtskräftige Verurteilung. Geräusche sind immer szenentypisch, Musik sparsam eingesetzt. Frank Merfort gelingt es Country-Sound modern zu interpretieren und die Pausen in musikalischen Appetit-Häppchen zu verwandelt. Trotz wechselnder Hauptsprecher gelingt es der Regie ein gleichbleibendes Stimmungsbild zu vermitteln. Die Sprecherliebhaber kommen bei der Besetzung auf ihre Kosten. Die Krimis von Buhss spielen nach der Wende und sind keine DDR-Nostalgie. Die Vergangenheit kommt vor, wird aber nie zum zentralen Thema.

 

 

Die Inhalte

 

Kaugummimonat

Im Hafenbecken wird ein Toter geborgen. Seine Pensionswirtin gerät in Verdacht, als ihr Vorleben genauer durchleuchtet wird. Ein Krimi, der in den Tiefen der menschlichen Seele wühlt. Ein Einstieg, der Lust auf mehr macht.

 

Ein toter Hund

Der Hund wurde vergiftet. Kurz darauf wird Franz Reimann erfroren im Schilf aufgefunden. Der Notanruf bei der Feuerwehr stammte nicht von Reimann. Reimann war ein Geschäftsmann, oft erfolgreich, manchmal auch auf der Kippe. Feinde hatte er genug. Das persönlichste Hörspiel mit viel Lokalpolitik.

 

Fischer sin Frau

Mitten in der Feriensaison gibt es zwei Tote auf Hiddensee. Der alte Loens ist natürlich gestorben, der andere wurde offensichtlich getötet. Ein Urlauber, der mit Marianne angebandelt hatte. Marianne war die Schwiegertochter vom alten Loens und Haßobjekt seiner Frau. Viel Atmosphäre, manchmal etwas abwegig.

 

 

Schneeregen

Ole Plessow baut bei Schnee und Regen einen Unfall. Mit Todesfolgen. Allerdings war der Tote im angefahrenen Fahrzeug schon vor dem Unfall tot. Ole ackert sich durch komplizierte Familienverhältnisse, verschwiegene Insulaner und kiffende Schüler. Und plötzlich bekommt das Wort Schnee noch eine andere Bedeutung. Das politischste und schwächste Hörspiel der Reihe.

 

 

Fazit

Bis heute haben die Hörspiele nichts an Attraktivität verloren. Nicht hektisch, aber spannend, tiefgründig und dialogstark. Mit Spitzenkräften der Sprechszene besetzt.

 

 

Wertung 85 %

 

Dauer ca. 50 Min. je Episode

 

Verfügbarkeit

 

ARD-Audiothek (Eingabe: „Hiddenseekrimis“) mit netten Teaserbildern

 

 

 

 

Mallorca, Mord und Margerita – Ein kriminelle Loreley-Sage

Loreley Die preisgekrönte österreichische Autorin Magda Woitzuck ist keine Vielschreiberin, aber eine vielseitige Schreiberin. In der ARD Hö...