Freitag, 22. November 2024

Mein Schatz – Belehrung statt Spannung

 

© ARD / Jürgen Frey

 

Trotz bestenfalls Durchschnittsware hält sich die Autorin Madeleine Giese tapfer als zweite Autorin der Krimis vom Saarländischen Rundfunk. Mein Schatz ist bereits ihr 8. Radio-Tatort mit dem Team Paquet, Gentner, Waller. 

 

Inhalte

 

Ein Haus brennt ab und es gibt eine Tote: Die Frau des Hausbesitzers. Amelie Gentner macht ihren Chef darauf aufmerksam, dass in erstaunlich vielen Fällen der Ehemann dahintersteckt. Hat sie gerade auf einer Fortbildung in der Pfalz gelernt. Also Ursachenforschung. Das ganze Programm: Gab es Brandbeschleuniger, wie ist das Haus versichert, wer bekommt das Geld? Da braucht es das ganze Team. Doch Polizeianwärter Waller versemmelt wieder einiges. Informiert nicht, erledigt seine Aufgaben nicht. Ihm geht anderes durch den Kopf. Die junge Julia hat ihren Partner rausgeschmissen und wird nun von ihm unter Druck gesetzt. Ihr Bruder Nico hat Waller davon erzählt. Ein Zufallstreffen am Imbiß. Doch es bleibt nicht bei Druck. Der Partner hat sich einer Gruppe von aggressiven Incels (involuntary celibates", also unfreiwillig enthaltsam lebende Männer) angeschlossen, die Julia mobben und bedrohen. Waller erschüttert die Situation der Frau und er spricht mit Amelie darüber. Ohne offiziellen Polizeiauftrag stellen die beiden die Incels und den Ex-Partner zur Rede. Pacquet ist stinksauer, weil gegen die beiden Anzeige erstattet wird. Aber das ist nicht alles.

 

Das Hörspiel

 

Die Triggerwarnung vorab und die ersten Sätze sagen es schon sehr schnell: Es geht um Femizid. Dieses Thema hat Lars Werner 2021 in „Mönche“ bereits aufgegriffen. Hier also von einer weiblichen Stimme. Gewalt an Frauen durch ihre Partner ist bis heute nicht kleiner geworden und es kann hilfreich sein, es in einem populären Krimiformat aufzugreifen. Ob die Methode Holzhammer aber den Hörer anspricht, kann man bezweifeln. Die Autorin schildert zwei Todesfälle als möglichen Femizid. Sonst gibt es keinen Zusammenhang. Damit dies funktioniert, wird das Polizei-Team verschlumpft. Waller ist eine Dumpfbacke, der seine Arbeit vernachlässigt, aber moralisch auf dem richtigen Weg ist. Amelie Gentner ist der gehobene Zeigerfinger, der den Kompasszeiger vorgibt. Paquet, der alte, weiße Mann, der seinen Job ordentlich erledigt, aber eben noch von gestern ist. Die Bösen sind der Partner und die Incel´s. Der Hörer weiß nur nicht, wer von ihnen ein Täter ist. Damit könnte der Hörer gut leben. Allerdings geht die Autorin in die Tiefe und erörtert, wie genau der polizeiliche Tatbegriff lauten soll. Das Hörspiel ist gut inszeniert und glättet die Textvorlage elegant. Allerdings ist das Saarländische abhandengekommen. Es gibt einen Mini-Sprachkurs für Waller am Imbiß. Kein Kontakt zu Frankreich, kein savoir-vivre.

 

Fazit

 

Der Radio-Tatort-Fan lässt sich nicht beirren. Wer Spannung statt, Belehrung möchte, ist fehl am Platze.

 

Wertung 60 %

 

Dauer ca. 53 Min.

 

Verfügbarkeit

 

ARD-Audiothek

 

 

 

 

 

Samstag, 16. November 2024

Treue Seele – Lucian Wing ist zurück



Manch Hörer wird Lucian in der Erzählung „Mann mit vielen Talenten“ vermisst haben. Nun ist er im neuesten Hörspiel von Castle Freeman zurück. Treue Seele ist als Buch 2023 erschienen, offenbar zuerst auf Deutsch. Das Hörspiel (Herbst 2024) stammt aus der Hohen Hörspielschule des SWR mit der Dramaturgin Uta-Maria Heim und der Regisseurin Irene Schuck. Die Hauptsprecher wechseln, ohne das einen nennenswerter Verlust entsteht.

 

 

Inhalt

 

Vermont, ein waldreicher Bundesstaat an der Grenze zu Kanada. Die Entfernung zum Nachbarn ist groß, der Besitz einer Waffe wichtiger als der Schutz durch die Polizei. Aber es gibt sie noch die Zentralgewalt aus Washington. Alle zehn Jahre führt sie eine Zählung durch. So kommt Port Conway 1990 zum Gehöft des alten Arthur Bennett. Und wird von Hund und Gewehr und junger Tochter vertrieben. Genau wie 10 Jahre später, und nochmal zehn Jahre später. Allerdings wird die Tochter immer hübscher. Es stellt sich heraus, dass sie mit der Frau von Ports Buddy, Cliff, verwandt ist. So bleibt Port informiert. Er bekommt mit, dass Lucy sich mit dem kriminellen Kurt eingelassen hat. Der hat sein Diebesgut in der Scheune von Cliff eingelagert. Lucian Wing rät zur Ruhe. Lucy zieht vorsichtshalber in eine alte Hütte, die Cliff gehört. Als die Hütte anfängt zu brennen, kann Cliff sie in letzter Minute retten. Wird aber dabei verletzt. Im Krankenhaus kommt es zu einem ungewöhnlichen Showdown.

 

 

Das Hörspiel

 

Treue Seele ist nur sehr entfernt ein Krimi. Es ist ein road-radio play und eine zarte Liebesgeschichte. Auf jeden Fall eine Liebeserklärung an Land und Leute, die keine Hinterwäldler sind, sondern vielschrötig und vielschichtig, auf jeden Fall liebenswert.

Das Hörspiel ist keine leichte Kost: Es gibt eine Sprecherin, einen Erzähler und dann immer wieder Monologe der anderen Figuren. Hinzu kommen die Kurznamen und die verschiedenen Zeitebenen. Die im Buch bereits vorhandene Einteilung in Teile und weitere Zwischenüberschriften machen es nicht einfacher. Aber es lohnt, sich zu konzentrieren. Niemand schreibt so wunderbare Dialoge wie Freeman. Diese Dialoge können schon mal länger dauern. Dabei entstehen Szenen, die beim Hörer zwangsläufig Bilder entstehen lassen: Cliff 1990 am Tor zur Volkszählung, Cliff sieht der nackten (längst erwachsenen) Lucy beim Baden zu. Diese Bilder können entstehen, weil die Sprecher ihre Rollen unprätentiös und lebensnah spielen. Alle zusammen: Erste Sahne. Und der Profi Freeman hat seine running gags: Wo befindet sich Lucys Tattoo, das noch nie jemand gesehen hat? Wann hört er auf, Miss Bennet zu ihr zu sagen?

Eine komplexe Soundchoreografie begleitet den Szenenwechsel von himmelhochjauchzend und zarter Liebe bis hin zur Feuersbrunst und Krankenhaus.

Wie immer erzählt Freeman seine Geschichte mit Lakonie und leichter Ironie.

 

 

Fazit

 

Ein Muss für den Liebhaber anspruchsvoller Hörspiele, hoher Dialog-und Sprechkunst. Aber auch eine schöne Urlaubsvorbereitung für den Indian Summer in den USA.

 

Wertung 90 %

 

Dauer ca. 50 Min.

 

Verfügbarkeit

 

ARD-Audiothek

 

 

 

Sonntag, 10. November 2024

Sherlock & Watson – Staffel 4 vom Deutschen Audio Verlag (DAV)

 


Die erfolgreiche Reihe um Sherlock und Watson kommt mit der neuen Staffel nun auch schon ins neunte Jahr. Da ist es nicht selbstverständlich, dass das Team bei der Stange bleibt. Mit dann zwanzig Fällen ist der Verlag auch schon fast bei einem Drittel des Kanons. Aber darum geht es gar nicht. Es sind immer Fälle mit den zentralen Doyle-Figuren, in die Gegenwart versetzt und mit aktuellen Themen garniert. Hochprofessionell zu Gehör gebracht. Die Fernsehserie mit Benedict Cumberland stand offenbar Pate.

 

 

Das Verbindende

 

Neben den Hauptfiguren gibt es Verbindendes über alle Staffeln hinweg, aber auch für jede Staffel ihr Eigenes. Die Doyle-Originale sind aus den Titeln deutlich zu erkennen. In jedem Fall tauchen auch einige Namen auf und es gibt durchaus auch inhaltliche Verwandschaften.

Die erzählenden Personen stellen die Kern-Geschichten im Nachhinein in einen Blog. Nach jeder Erzählphase gibt es heftige Debatten im Blog, die dem Hörer manche Idee in den Kopf setzen. Beteiligte an der Diskussion sind die berühmten Personen der Krimiwelt: James Bond, Austin Powers und andere Bösewichte. Das kann den Hörer aber auch nerven. Neben Watson treten auch Miss Hudson und Mycroft als Erzähler auf.  Moriarty als der Inbegriff des Bösen, zieht sich durch alle Staffeln hinweg ebenso wie das Verhältnis von Sherlock zu seinem Bruder Mycroft, den Kai Magnus Sting eher soft interpretiert. In Staffel 4 spürt Sherlock  der Geschichte seiner Kindheit nach, er entdeckt beunruhigende Neuigkeiten, hat aber die Hoffnung, dass die Eltern doch noch leben und er sie treffen kann. Der Besuch seines Geburtshauses lässt kaum Erinnerungen wach werden. Watson und Sherlock begeben sich bis nach Moskau auf der Suche nach elterlichen Spuren. Biografische Ermittlungen und die eigentlichen Fälle wechseln sich ab und sind zeitlich unabhängig.

Die neuen Fälle sind ausgesprochen zeitkritisch und sehr politisch, Russland und China bleiben nicht ungeschoren. Niedriglöhne und elendes Migrantendasein klingen anklagend. Die Fälle sind brutaler und zugespitzter als bisher. In Folge 20 kommt es gar zu einem filmreifen Showdown. Über allem schwebt weiterhin Moriarty, der erscheint, aber nicht greifbar ist.

 

Die Fälle

 

„Das Rätsel um die sechs Napoleons“ führt den Hörer in die Höhen und Untiefen der Kunstwelt. Ausgangspunkt ist der mysteriöse Diebstahl des Werkes: „We are all Napoleon“. Doch dann tauchen weitere Kopien auf. Lestrade ist ratlos. Banksy und der Kunstfälscher Beltracci standen Pate. Spannend und lehrreich.

 

„Der Coup der Rothaarigen“ behält viel von der Originalstory. Brutale Morde, Voodoo-Kult, aber auch eine klassischer Tunneleinbruch in eine Bank. Ungewöhnlich: Sherlock wird schwer verletzt und der Täter nicht gefunden.

 

„Die Copper-Beeches-Morde“ sind Morde an jungen Asiatinnen, die illegal in England leben, ihnen war eine junge Investigativjournalistin auf der Spur, die vermisst wird. Viele Pfade führen in die Welt der Reichen und Politik. Zu heikel für Lestrade.

 

„Showdown in der Wisteria-Lodge” bringt Mycroft in Probleme und Gefahr. Er wird schwer verletzt gefunden und hat offenbar ein Call-Girl niedergestochen. Alle Indizien sprechen gegen ihn. Im Krankenhaus wird allerdings entdeckt, dass Mycroft offenbar mit dem Gift Nowitschok getötet werden sollte.

 

„Tödliches Duett auf der Thor-Brücke“ begibt sich in die Szenerie der Schönen und Reichen und ganz schön Reichen.  Der erfolgreiche Musik-Produzent Neil Gibson wird auf der Brücke, grausam zugerichtet, ermordet aufgefunden. Sofort gerät sein Ex und erfolgreichste Künstlerin Maria in Verdacht. Die beiden befanden sich in einem erbitterten Rosenkrieg. Doch es folgen zwei weitere Morde, obwohl Maria in Haft ist. Ein Hörspiel mit tiefen Einblicken in die Musikindustrie, selbstverständlich mit entsprechender musikalischer Begleitung vom Feinsten. Holmes erfährt in Russland mehr über seine Herkunft. Aber nichts Beruhigendes.

 

Fazit

 

Diese Staffel ist der Goldstandard. Derzeit gibt es nur wenige, so hochwertige und massentaugliche Kriminalhörspiele auf dem Markt. Genau das Richtige für 5 Tage Binge-Listening mit Vertrautem, Spannung, Gruseligem und überragenden Sprechern. Ein Erfolg dieser Staffel sollte DAV und das Team ermuntern, den Weg fortzusetzen. Moriarty, Holmes und Watson leben immer noch!

 

Wertung 95 %

 

Dauer je Fall zwischen 90 und 120 Min

 

 

Verfügbarkeit

 

Bei DAV (Der Audio Verlag) als Einzel-CD´s oder komplettes Paket; kein Download; kein Erscheinen bei den Streaming-Dienstes

 

https://www.der-audio-verlag.de/reihen/sherlock-watson-neues-aus-der-baker-street/

 

 

 

 

 

 

 

 

Sonntag, 3. November 2024

Recheuz – Ein österreichisches Kammerspiel

 

Der Autor Friedrich Christian Zauner


 

Der Schweizer Rundfunk kümmert sich liebevoll auch um längst abgetauchte Hörspiele, die von Susanne Jansson und Wolfram Höll sachkundig kommentiert werden. Anders als bei Pastewka stehen die Geschichten im Vordergrund und nicht die Sprecher. Im Oktober 2024 präsentieren sie Recheuz vom ÖRF aus dem Jahr 1978, also schon ein wenig eingestaubt. Ein Hörspiel des 2022 verstorbenen österreichischen Schriftsteller Friedrich Christian Zauner. Der SRF präsentiert seine Hörspiele auch auf Spotify. Dort kann der text-interessierte Hörer den Wortlaut dank KI per Transskript in ordentlicher Qualität verfolgen. Der SRF bietet neben den Kommentaren der Redaktion regelmäßig auch weiterführende Links mit Sachinformation an.

 

 

Inhalte

 

Harry Obermann, von Beruf Kommissar, ist mit dem Auto auf dem Weg zu einer Kur. Er lässt sich Zeit, will schon die Anreise genießen. Und dann passiert das Unglück: In the middle of nowhere hat er eine Autopanne. Kein Fahrzeug, kein Mensch in der Nähe. Er läuft zum nächstgelegenen Dorf, um Hilfe zu suchen. Im Dorfgasthaus wird er ungastlich empfangen. Keine Werkstatt, kein Telefon, kein Essen, keine Hilfe. Auch sonst erlebt er nur Abweisung. Auf dem Weg zum Dorfpolizisten wird er Zeuge eines Gesprächs: Ein junger Gastarbeiter wurde erschossen. Wenigstens der Polizist ist eine Hilfe: Er hat ein Telefon, macht ihm was zu Essen und lässt ihn bei sich übernachten. So erfährt Obermann etwas über das Dorf. Dort leben oben auf dem Berg jugoslawische Arbeiter, die im Steinbruch arbeiten. Sie existieren in ihrer eigenen, abgeschlossen Welt, nur der Vorarbeiter Itztok spricht Deutsch. Mit ihm nimmt Obermann Kontakt auf und erfährt etwas über den Toten. Aber offenbar ist auch der Polizist nicht wirklich daran interessiert zu erfahren, was passiert ist und wer Schuld hat. Oberman spricht, hört zu, spricht hört zu. Die Dorfbewohner sind verschlossen wie eine Auster. Aber Obermann gibt nicht auf, beobachtet den Jungen des Gastwirts und spricht mit ihm. Redet mit Baldur, der von Wilderei lebt und nur in seiner Welt lebt. Harry Obermann, der eigentlich nicht im Dienst ist, gelingt es den Täter zu entlarven. 

 

 

Das Hörspiel

 

In gewissen Sinn ist es sogar ein closed-room-Krimi, weil nur jemand aus dem Dorf oder von den Arbeitern Täter sein kann. Das Hörspiel lebt aber vor allem von seiner Atmosphäre. Die große Gruppe der Dorfbewohner, die sich abschotten, keine Fremden oder Veränderungen wollen. Die Arbeiter dulden, aber nichts mit ihnen zu tun haben wollen. Die Jugoslawen, die hart arbeiten und sich selber organisieren. Ein Bild, das es 1978 sicher auch so in Deutschland gab. Hier lediglich zugespitzt. Diese Welten werden in vielen Dialogen nüchtern abgebildet, ohne direkt wertend zu sein. Im Mittelpunkt steht Harry Obermann, der dem Hörer als einzige Person, zunehmend vertrauter wird. Die Handlung spielt innerhalb weniger Tage. Die übrigen Sprecher sind alle gut verständlich, die Jugoslawen mit entsprechendem Akzent. Musik und Geräusche werden sehr sparsam verwendet, die Konzentration liegt ganz auf dem Text. Obwohl kein ausgewiesener Krimiautor legt Zauner falsche Fährten, bietet reichlich Gelegenheit zum Mitraten und legt am Ende eine unerwarteten Schluss vor. Dieses Hörspiel ist in Zeiten, in denen wieder Menschen auf fremden Ländern nach Europa kommen, eine gute und spannende Anregung, über unser Verhalten ihnen gegenüber nachzudenken.

 

Fazit

 

Kein „großes“ Hörspiel, sondern solide Handwerkskunst, die bis heute aktuell ist und unterhaltsam anzuhören.

 

 

Wertung 80 %

 

Dauer ca. 60 Min.

 

Verfügbarkeit

 

SRF und alle wichtigen Streaming-Dienste

 

 

Mallorca, Mord und Margerita – Ein kriminelle Loreley-Sage

Loreley Die preisgekrönte österreichische Autorin Magda Woitzuck ist keine Vielschreiberin, aber eine vielseitige Schreiberin. In der ARD Hö...