Dienstag, 1. Februar 2022

Wo du hingehst – Frankenkrimi mit Niveau

 

© Bayerischer Rundfunk

Der Bayerische Rundfunk startet mit diesem Hörspiel einen neuen Krimipodcast mit Melitta und Stern, die im Fränkischen zu Hause sind und sich auf weniger spektakuläre Fälle stürzen. Der BR ist nicht unerfahren mit Regionalkrimis. Die Tatort-Folgen mit der Polizeiinspektion Bruck am Inn waren bei den Hörern außerordentlich beliebt. Die Autorin Katja Röder hat für den Radio-Tatort eine Reihe von Krimis geschrieben, die hörbar im Schwäbischen beheimatet waren, allerdings eher etwas behäbig daherkamen. Also lassen wir uns überraschen.

 

Der Inhalt

 

Melitta ist eine junge Frau mit Asperger-Syndrom, die ihr Kloster verlässt, um ihren Vater, dem Baron in Franken auf seinem Landgut zu helfen. Sie war im Kloster, um innere Ruhe zu finden und geht verlässt ihre Ruhebasis mit gemischten Gefühlen. Ihr engster Freund im Kloster war der Gärtner Anton Stern. Sie verbindet die Liebe zur Natur und zur Heimat. Auch Anton ist nicht „normal“. Er hat im Kloster Obhut gefunden, weil er gerne mal vergisst, beim Tanken zu zahlen.

Kaum auf dem Gutshof angekommen, wird Melitta mit der wirklichen Welt konfrontiert. Die Gegend wird von einer Diebesbande unsicher gemacht, das landwirtschaftliche Großgeräte wie Mähdrescher oder Traktoren stiehlt. Auch ihr Vater ist betroffen: Ihm wurde ein Baum-Harvester gestohlen, der nicht versichert ist.

Der Weg zur Polizei ist ernüchternd. Melitta wird unlustig mitgeteilt, dass man sich bemühe und sie Geduld haben müsse. Diese Geduld hat Melitta nicht. Sie begibt sich auf die Suche nach den Dieben und bittet Anton, den Kleinkriminellen um Unterstützung.

Die Beiden starten nun grundsolide Detektivarbeit: Entwickeln Hypothesen, verfolgen Verdächtige, befragen Opfer. Melitta treibt die Suche immer wieder mit blitzgescheiten Ideen, Anton mit Mut und viel Fleiß voran. Je näher sie den Tätern kommen, umso gefährlicher wird die Situation für die Amateurdetektive.

 

 

Ein paar Grundmotive

 

Der Anspruch ist hoch. Die Autorin deutet am Ende selber auf eine gewisse Nähe zu Sherlock und Watson hin. Melitta arbeitet stark deduktiv und systematisch. Dennoch blitzen immer wieder neue, mutige Ideen auf. Anton ist der solide Partner, ohne den es nicht geht. Die Polizei gibt sich Mühe, kommt aber nicht voran. Die beiden Amateurdetektive sind ein sympathisches Paar, dass kongenial zusammenarbeitet. Wenngleich Anton ein wenig in Melitta verliebt erscheint, spielt dieses Thema, wie überhaupt Befindlichkeiten, keine Rolle.

 

Wo du hingehst ist ein Regionalkrimi. Im Mittelpunkt dieses Hörspiels stehen das Leben und die Nöte der Landwirte in der Region. Dies alles wirkt nicht platt, sondern ehrlich und mitfühlend. Die Befragung der betroffenen Landwirte ist ein tolles Panoptikum fränkischen Lebens.

 

In diesem Hörspiel geht es nicht um Mord und Todschlag, sondern um schwerkriminelle Alltagsdelikte. Dies soll wohl auch in den folgenden Episoden so sein. Dennoch gelingt es der Autorin eine spannende Geschichte zu erzählen, in der man als Hörer immer mal wieder überlegt: Wie kommen die beiden da wieder raus ?

 

Der Hörgenuss

 

Die Regie nutzt wirklich alle Register, um das Lauschen zu einem Hörfest zu machen. Die Vielfalt der tollen Stimmen ist beeindruckend. Den Sprechern von Melitta und Stern gelingt es, Charaktere erscheinen zu lassen, so vielfältig ist ihre Bandbreite an Ausdruck. Und natürlich die vielen fränkischen Bauern, die man bei der Befragung hört und man sich im Kopf ein Bild macht.

Die Regie nutzt die Geräuschkulisse, die die Autorin angelegt hat, weidlich. Man hört Mähdrescher, Hundegekläff, flüsterleise Handygespräche, Glocken und und und. Das liegt auch an den vielen, eher ungewöhnlichen Hörplätzen: Kloster, Schloss, Bauerhöfe, Autobahnrastplatz usw.

 

Die Szenen und Spielorte sind überschaubar. Der Hörer kann immer gut folgen, selbst wenn er/sie mal eine Hörpause einlegt. Mal geht es beschaulich zu, dann wieder wird es hektisch. Es bleibt spannend bis zum Schluss.

 

Wo Licht ist, ist auch Schatten

 

Die Handlung wirkt manchmal doch sehr konstruiert, da wünscht man sich für weitere Folgen, etwas mehr Logik und Wirklichkeitsnähe. Die Polizei schneidet schlecht ab. Wie in vielen Filmen wirkt sie etwas naiv, überfordert, überheblich und dumm. Das ist nicht stimmig, in dem sonst differenziert vorgehenden Stück.

Warum im öffentlich – rechtlichen Rundfunk neuerdings immer mehr oder weniger Kriminelle zur Lösung des Falles beitragen, erschließt sich mir nicht wirklich.

 

 

Dauer 45 Min.

 

Fazit

 

Trotz kleiner Schwächen kann man dieses Hörspiel uneingeschränkt empfehlen. Weit entfernt von hard-boiled Stories wird hier eine spannend inszenierte, im wahrsten Sinne des Wortes hörensweite Episode geboten. Ich freue mich auf weitere Folgen.

 

Wertung

90 %

 

 

Verfügbarkeit

 

In der ARD Audiothek oder im BR Hörspielpool

 

Links

 

Alle wichtigen Infos wie immer bei den Hörspieltipps

 

Interview mit der Autorin Katja Röder

Zusatzinfo von der Regisseurin Stefanie Ramb

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