Sonntag, 28. Juli 2024

Wo ist Stieglitz – Ein neuer Streich von Kai Magnus Sting

 


 

Es ist nicht leicht, Rezensionen über neue Krimis von Kai Magnus Sting zu schreiben, da sie sich immer ähneln: Voller Sprachwitz, Skurrilitäten und Absurditäten, nie für bare Münze zu halten. Sein neuestes Werk verdient allein schon die Besetzung konzentriertes Zuhören. Wohl vertraute, vorzügliche Sprecher, bei denen der Hörer staunt, dass es sie noch gibt: Henning Venske, Matthias Habich, Ulrike Bliefert, Cathleen Glawich und natürlich Jochen Busse und Kai Magnus himself. Wie so oft: Eine Kriminalgroteske.

 

Inhalt

 

Stieglitz ist verschwunden. Obwohl er als Vielfraß doch immer in der Kantine zu finden war. Wenn Kommissar Labunde nicht weiterwusste, konnte er sich immer auf seinen Untergebenen Stieglitz verlassen. Er war das beste Pferd im Stall. Er löste ratzfatz jeden Fall. Und nun ist er verschwunden. Hat das etwas mit den Gesprächen mit Kriminalrat Neutze zu tun? Der wollte ihn in Pension schicken, weil Stieglitz Neutze mit zu vielen Cousinen getroffen hat! Schließlich ließ Stieglitz entgegen seinen Gewohnheiten den Garten umbuddeln, um die Ehefrau zu suchen. Auch Richter Priem war involviert. Priem und Neutze sind tot. Eine Explosion. Und Stieglitz ist weiterhin unauffindbar.  Aber der Hörer lernt an vielen Beispielen, wie Stieglitz seine Fälle üblicherweise löst. Z.B. den im Backteig ermordeten Bäckerlehrling oder den toten Postboten im Schrank, den ertrunkenen Leistungsschwimmer oder den toten Elefanten inmitten von Einhörnern und noch viele mehr. Labunde treibt Stieglitz irgendwo beim Essen auf mal schlicht, mal exotisch. Immer Riesenmengen. Dann lädt er Labunde ein. Der lehnt immer ab.

 

Das Hörspiel

 

Tote gibt es reichlich. Spannung gar nicht, aber aberwitzige Ideen. Die Kriminalgroteske ist eine Ansammlung von höchstens dreiminütigen Miniaturen mit Stieglitz und Labunde im Dialog. Labunde treibt Stieglitz an einem abseitigen Ort auf, erklärt ihm den Mordfall und Stieglitz löst ihn. Nicht hardcore oder deduktiv, sondern kraft seiner Gedankengänge. Das ist immer nur scheinlogisch, aber witzig und eine ironische Anmerkung auf deduktive Detektive. Jede Miniszene hat ihren gleichen Aufbau. Eine kurze musikalische Einleitung, dann wird beschrieben, was Stieglitz gerade zu sich nimmt, nun taucht Labunde auf. Das Ende: „Stieglitz, sie sind genial“ „Das weiß ich“. Die abwechslungsreichen Szenen sind sparsam, aber deutlich, mit adäquaten Geräuschen und ein wenig Musik unterlegt. Der musikalische Einstieg mit einer Art Couplet deutet bereits an, dass Stieglitz nicht ganz von dieser Welt ist. Stieglitze sind lt. Nabu übrigens gesellige Tiere, die ihre Futtersuche gemeinschaftlich betreiben. Aber davon will ja Labunde nichts wissen.

Aber Sting wäre nicht Sting, wenn nicht noch mehr hinter diesem Unsinn steckt. Z.B. ein Angriff auf die unsinnigen Handlungen der vielen Fernsehkrimis oder die Absurditäten exklusiver Gourmetmahle. Das Ende erinnert an Falcos berühmten Kommissar-Song: „Das Leb´n bringt dich um“.

Das Format ist ideal für die Häppchen der Streaming-Dienste. Allerdings hätte das Hörstück auch seine Wirkung, wenn es kürzer wäre. Ehrlicherweise sollte man darauf hinweisen, dass die beeindruckende Sprecherriege nur wenigen Minuten beim Einstieg zur Geltung kommt.

 

 

Fazit

 

Eher etwas für stramme Sting-Fans, die seine Ideenfülle und seinen Aberwitz lieben. Für die meisten Hörer etwas zu lang und wenig abwechslungsreich

 

 

 

Wertung 70 %

 

Dauer 80 Min.

 

 

Verfügbarkeit

 

https://www.amazon.de/ist-Stieglitz-Kai-Magnus-Sting/dp/383716795X

 

und bei Spotify

Montag, 22. Juli 2024

Menschen fallen – Norwegerpulli statt Seidensticken

 

Der Theater-und Hörspielautor Lars Werner hat im ersten Halbjahr 2024 eine produktive Phase. Er legt mit diesem Krimi des DLF seine 5. Hörspielstunde vor (Zentrum der Grenze, Am Schlick, Menschen fallen). Auch dieses Hörspiel ist eine Auseinandersetzung mit den neuen Medien.

 

 

Inhalte

 

Benedikt Groppler von den Grünen hat gute Chancen bei den anstehenden Wahlen Berliner Bürgermeister zu werden. Seine politische Laufbahn hat als Aktivist im stillgelegten Braunkohlebergbau Ostdeutschlands begonnen. Im Laufe der Jahre hat er sich erfolgreich zur „Realpolitik“ bewegt. Das ruft Bewunderer aber auch Enttäuschung hervor. Dieser Lebensweg ist eine Steilvorlage für die junge politische Insta-Journalistin Maral Bohrmann. Sie nutzt einen Wahlkampfauftritt in Berlin-Wedding, um ihn mit heiklen Fragen zu konfrontieren. Doch es kommt anders: Groppler wird vor ihren Augen und vor ihrer Live-Kamera entführt. Durch diese Aufnahmen kann die Polizei das Fluchtfahrzeug der Entführer und eine grobe Fahrtrichtung erkennen. Die Polizeichefin Dombrowski erkennt kurz vor der Wahl (und einem möglichen eigenen Karrieresprung) die politische Brisanz. Sie aktiviert alle Ressourcen. Einsatzleiter wird ihr bester Mann: Flo Daschner. Schnell identifiziert die Polizei den Halter des Fahrzeugs. Ein arbeitsloser Lehrer. Aber das Fahrzeug wird von seiner geschiedenen Frau genutzt. Doch das Netz ist schneller als die Polizei. Auch Maral Bohrmann wird entführt und mit der Pistole in der Hand gezwungen ihr Interview mit Groppler zu führen. Alles Live vor der Kamera. Ein Kinderspiel für die Polizei, den Ort der Entführung zu identifizieren. Die ehrgeizige Dombrowski übernimmt persönlich die Verhandlungen. Und plötzlich wird die Szenerie sehr persönlich. Der Entführungsfall wird gelöst und Menschen fallen - tief.

 

Das Hörspiel

 

Mit 45 Minuten ein ungewöhnlich kurzes Hörstück, in hohem Tempo und mit viel Action erzählt, wie es sich für eine Entführung gehört, die ja in Hörspielen selten vorkommt Die Handlung umfasst nur wenige Stunden der Großstadtwelt Berlin, die hörenswert erfasst wird. Es gibt drei Akteursgruppen: die Polizei, die Influencerin und die Verdächtigen. Die Story erlaubt einen Blick in die hierarchische Innenwelt der Polizei, die nicht frei von Ehrgeiz ist, in der man aber auch tief fallen kann. Vielleicht etwas zu ironisch gespielt. Die Influencerin Maral gerät unversehens in einen extremen Konflikt mit ihren eigenen Ansprüchen. Die Verdächtigen bleiben eher blass. Alle Personen werden überzeugend gesprochen, einige Rollen sind aber in ihren Charakterzügen wenig glaubwürdig gezeichnet, es fehlt die Tiefe. Die Sprache ist gegenwartsbezogen und realistisch. Sie setzt den Hörer keinen Lebensweisheiten aus, sondern allein die Geschehnisse geben zu denken, ohne dass der Autor mit dem moralischen Zeigefinger winkt. Sound und Geräusche greifen die spannende Handlung auf und vertiefen sie. Wenngleich der Hörer frühzeitig zu ahnen glaubt, wer der oder die Entführer sind, endet das Hörspiel mit einem überraschenden Plot. Es hätte also ein richtig toller Krimi sein können. Aber der Autor hat sich gegen das Seidensticken entschieden und einen groben Norwegenpulli gestrickt. Vieles klingt überzogen und nicht überzeugend. Schuld daran, dass Menschen fallen, können auch Menschenfallen sein. Eine wichtige Erinnerung.

 

 

Fazit

 

Unüberhörbar das Autor und Regie ihren Job beherrschen. Genau das Richtige für eine 45-Minutenfahrt in der Bahn. Der Autor hat noch Luft nach oben.

 

 

Wertung 80 %

 

Dauer 45 Min.

 

 

Verfügbarkeit

 

ARD Audiothek

 

 

Sonntag, 14. Juli 2024

Tough – Mord in der Adelsszene

 

© ARD / Jürgen Frey

 

Das Team des rbb um die beiden eigenen Köpfe Christian Wonder und seine russisch-stämmige Chefin Ariane Kruse geht nun mit dem vertrauten Paar auch schon in die 6. Runde. Jeweils pünktlich im Juni. Die bisherigen Episoden waren ein Wechselbad von Hochs und Tiefs.

 

Inhalte

 

Der ältere Kunsthändler Arndt von Schellenberg wird ermordet in den Masuren aufgefunden. Nur die Kennung auf seinem Hüftimplantat führt die polnische Polizei auf eine Spur nach Berlin. Nun liegt der Vorgang auf dem Schreibtisch von Ariane Kruse. Denn Wonder reist in wenigen Wochen in den Iran, dort haben seine verschollenen Eltern zuletzt in einer Atomanlage gearbeitet. Er übernimmt trotzdem. Schellendorf ist uralter preußischer Adel und mit einer erfolgreichen jüngeren Zahnärztin verheiratet. Späte Liebe, wie man so sagt. Schellenberg war offenkundig ein erfolgreicher Händler, aber seine Geschäfte sind nicht nachzuvollziehen. Keine Unterlagen, keine Belege, nur ein Computer. Auch die Frau kennt keinen Zugangscode. Sie hat sich nie um seine Geschäfte gekümmert. In seinem Schließfach finden sich aber zwei Monets! Die Altersrücklage für die Ehefrau. Allerdings stellen sich die Monets als Fälschung heraus. Ein Hauptkunde hat vor einem Jahr seine langjährige Zusammenarbeit mit Schellenberg beendet. Ist das ein Grund für einen Mord? Was hat Schellenberg in den Masuren gemacht? Auch die Audioaufnahmen einer Art Autobiografie helfen nicht weiter. Machen Schellendorf aber sympathisch. Wonder bleibt dran und der Hörer folgt ihm bei seiner klassischen Detektivarbeit: Befragungen, Spurensuche, Spekulationen. Und immer wieder von vorne. Nicht vergeblich.

 

Das Hörspiel

 

Ein typischer Ermittlerkrimi. Die Anzahl der Verdächtigen ist überschaubar, die Handlung eher gemächlich als spannungsgeladen. Aber den wenigen Spuren zu folgen, nachzubohren hat auch seinen Reiz, weil der Autor ideenreich dem Hörer immer wieder neue Fährten legt. Hat Schellendorf seine Kunden betrogen? Oder kann der alte preußische Adel diesen Abtrünnigen nicht ertragen? Überhaupt darf der Hörer das Blaue Blut nicht unterschätzen. Neben dieser Haupthandlung gibt es immer wieder weitere Erzählstränge: Wonder auf der Suche nach seiner Vergangenheit, Wonder und seine Therapeutin. Bahnt sich da ein Techtelmechtel an? Wonder und seine saufende Chefin.

Schade, dass wieder die ewig düstere Musik von Tarwater dem Hörer jede Fantasie nimmt, selbst im iranischen Lokal muss die Hintergrundmusik quietschen. Es wäre sonst ein richtig unterhaltsamer Krimi, dem man auch manche Lebensweisheit des Autors verzeiht. Die eigentliche Stärke von Peukert liegt in den Dialogen, die immer lebensecht und glaubwürdig klingen.  Und zeitgemäß („Mein Lieblingsmensch“,“Nicht dafür“). Wie immer streift Peukert en passant viele Themen der Gegenwart: ein absurder Kunstmarkt, Lachgas, alt und jung in der Ehe gerne auch Psycho und vieles mehr. Die Regie hat auch kleine Rollen bestens besetzt. Der Hörer lauscht mit Vergnügen einem Greenkeeper an der Ostsee oder einer Berliner Kodderschnauze als Steuerfahnderin. Viele attraktive Spielorte, eine beeindruckende Geräuschkulisse vom Sitzrasenmäher bis hin zum Falkner. Die vielen kurzen Szenen erfordern allerdings Aufmerksamkeit. Auch ist die Erzählkonstruktion nicht ganz einfach. Dialoge, innere Monologe, Telefonate, Audioaufnahmen. Der Tatortautor Mosebach hat sich auch schon mal in der adligen Kunstszene bewegt. Die Fans von Ariane Kruse kommen diesmal nicht auf ihre Kosten. Sie ist von Wonders Sabbatical-Reise in den Iran genervt. Wie geht es mit Wonder weiter? Er hat die innere Spurensuche nach den Eltern und bei der Therapeutin beendet.

 

 

Fazit

 

Autor und das Herstellungsteam machen einen beachtlichen Job. Es ist ein Genuss ersten Ranges diesem Hörspiel zu folgen. Die kleinen Schwächen kann man gut überhören.

 

Wertung 90 %

 

Dauer 50 Min.

 

 


Sonntag, 7. Juli 2024

SHI KI micki – Outlog meets Zürich, der SFR Tatort

 

© ARD / Jürgen Frey
 

 

Dies ist nun die dritte Episode, die um 2056 in der Schweiz spielt. Laura Martini hat sich bisher in ihrem Outlog hoch in den Bergen gegen den Überwachungsstaat gewehrt. Im Outlog gibt es keine implantierten Chips, keine Überwachung. Ihr persönlicher Feind ist der Leiter des Gesundheitssystems SHI (Swiss Health Institut) Luzi. Ihr Chef als sie noch bei der Kripo gearbeitet hat. 


 

Inhalt

 

Laura begibt sich nach Zürich. Dort hat das SHI seinen Sitz und nutzt zur Überwachung selbstverständlich die neueste KI (SHI KI). Sie sucht Klaus Lidwetzky. In den Albedo-Files wurde behauptet, es gebe in der Schweiz noch Morde. Was vom SHI immer bestritten wurde. Nun soll Klaus über Belege für 12 Mordfälle verfügen. Klaus hat sich in der verarmten Nebenwelt Zürichs versteckt. Aber Laura kommt zu spät. Vor ihren Augen wird Klaus von einer herabfallenden Klimaanlage getötet. Das kann kein Zufall sein.  Eine Rettungsdrohne ist unverzüglich zur Stelle und nimmt den Toten auf. Laura schmuggelt sich in letzter Sekunde noch hinein und landet im SHI ! Luzi will sie virtopsieren und ihre Gedanken auslesen Dies geschieht durch die vom SHI entwickelte KI. Wenn´s nicht klappt, gibt es eben SHIKIMicki. Doch Regine kann sie rechtzeitig mit Hilfe der Androiden-Maschine Hanna befreien. Wie kommt Regine in das SHI-Reich? Sie bewegt sich selbstsicher in der Welt der Schönen und Reichen, behauptet aber auf Lauras Seite zu stehen. Unterstützung hat Laura auch von ihrem soliden, vorsichtigen Helfer Emil, der vom Outlog aus, ihre Aktivitäten kommentiert. Wenn er kann. Das Outlog ist hoffnungslos überbucht und der Strom ist ausgefallen. Luzi und das SHI setzen alle Waffen ein: Angriffe von Pizzadrohnen, Hackerangriffe, Robocops. Hat Laura eine Chance zu überleben und noch an die wichtigen Informationen zu gelangen?

 

Das Hörspiel

 

Wie gewohnt braucht kein deutsch-sprachiger Hörer Angst haben, etwas nicht zu verstehen. Auch wenn es eine eigenständige Episode ist, erschließen sich Sprach-und Spielwitz allerdings nur, wenn man die vorhergehenden Folgen gehört hat. Spielort ist nun das überhitzte Zürich und statt röhrender Elefanten, hört man Ungeziefer und Großstadtlärm. Der Autor Dominik Bernet und das Team des SFR legen erneut ein Hörvergnügen vor, das kaum übertroffen werden kann. Bernet sprengt auch das Genre: Ein wenig Sci-Fi, ein wenig Grusel, auf jeden Fall ein Krimi, in dem alles irgendwie doch ganz nahe wirkt und damit dem Hörer auch gehörig auf den Pelz rückt. Immer sehr neutral erzählt und glaubwürdig gesprochen. Selbst dem Schurken Luzi kann man noch etwas abgewinnen Neben dem zentralen Thema der KI-Bedrohung greift Bernet noch andere Themen auf: Mietwucher, streunende Wohnnomaden, Vertrauen und Ehrlichkeit. Whistle-Blower.  Der Rezensent muss gestehen, dass er bei den vielen Wendungen und den überbordenden Einfällen des Autors gelegentlich den Faden der Handlung verloren hat. Da hat nicht jeder die Lust, ein zweites Mal zu lauschen. Auch kann man Sprachwitz übertreiben. In der Summe ein packendes Angebot an den Hörer, zu reflektieren, was da noch auf uns zukommen kann. Und nicht nur in der Schweiz.

 

Fazit

 

Keine leichte Kost, aber ein anregendes Hörvergnügen eines talentierten Autors, dem wohl noch eine Episode folgen wird. Die Sprecher sind gut gelaunt, die Inszenierungs-Truppe hat eine Meisterarbeit gefertigt.

 

Wertung         80 %

 

Dauer insges. 55 Min.

 

Verfügbarkeit

 

ARD Audiothek und beim SFR

 

 

 

Die Tote im Feuer – Noch ein Insel-Küsten-Krimi !

    Insel- und Küstenkrimis gibt es wie Sand am Meer. Aber Leser und Hörer lieben diese Atmosphäre, die an Urlaub erinnert. Kein Wunder also...