Montag, 22. Juli 2024

Menschen fallen – Norwegerpulli statt Seidensticken

 

Der Theater-und Hörspielautor Lars Werner hat im ersten Halbjahr 2024 eine produktive Phase. Er legt mit diesem Krimi des DLF seine 5. Hörspielstunde vor (Zentrum der Grenze, Am Schlick, Menschen fallen). Auch dieses Hörspiel ist eine Auseinandersetzung mit den neuen Medien.

 

 

Inhalte

 

Benedikt Groppler von den Grünen hat gute Chancen bei den anstehenden Wahlen Berliner Bürgermeister zu werden. Seine politische Laufbahn hat als Aktivist im stillgelegten Braunkohlebergbau Ostdeutschlands begonnen. Im Laufe der Jahre hat er sich erfolgreich zur „Realpolitik“ bewegt. Das ruft Bewunderer aber auch Enttäuschung hervor. Dieser Lebensweg ist eine Steilvorlage für die junge politische Insta-Journalistin Maral Bohrmann. Sie nutzt einen Wahlkampfauftritt in Berlin-Wedding, um ihn mit heiklen Fragen zu konfrontieren. Doch es kommt anders: Groppler wird vor ihren Augen und vor ihrer Live-Kamera entführt. Durch diese Aufnahmen kann die Polizei das Fluchtfahrzeug der Entführer und eine grobe Fahrtrichtung erkennen. Die Polizeichefin Dombrowski erkennt kurz vor der Wahl (und einem möglichen eigenen Karrieresprung) die politische Brisanz. Sie aktiviert alle Ressourcen. Einsatzleiter wird ihr bester Mann: Flo Daschner. Schnell identifiziert die Polizei den Halter des Fahrzeugs. Ein arbeitsloser Lehrer. Aber das Fahrzeug wird von seiner geschiedenen Frau genutzt. Doch das Netz ist schneller als die Polizei. Auch Maral Bohrmann wird entführt und mit der Pistole in der Hand gezwungen ihr Interview mit Groppler zu führen. Alles Live vor der Kamera. Ein Kinderspiel für die Polizei, den Ort der Entführung zu identifizieren. Die ehrgeizige Dombrowski übernimmt persönlich die Verhandlungen. Und plötzlich wird die Szenerie sehr persönlich. Der Entführungsfall wird gelöst und Menschen fallen - tief.

 

Das Hörspiel

 

Mit 45 Minuten ein ungewöhnlich kurzes Hörstück, in hohem Tempo und mit viel Action erzählt, wie es sich für eine Entführung gehört, die ja in Hörspielen selten vorkommt Die Handlung umfasst nur wenige Stunden der Großstadtwelt Berlin, die hörenswert erfasst wird. Es gibt drei Akteursgruppen: die Polizei, die Influencerin und die Verdächtigen. Die Story erlaubt einen Blick in die hierarchische Innenwelt der Polizei, die nicht frei von Ehrgeiz ist, in der man aber auch tief fallen kann. Vielleicht etwas zu ironisch gespielt. Die Influencerin Maral gerät unversehens in einen extremen Konflikt mit ihren eigenen Ansprüchen. Die Verdächtigen bleiben eher blass. Alle Personen werden überzeugend gesprochen, einige Rollen sind aber in ihren Charakterzügen wenig glaubwürdig gezeichnet, es fehlt die Tiefe. Die Sprache ist gegenwartsbezogen und realistisch. Sie setzt den Hörer keinen Lebensweisheiten aus, sondern allein die Geschehnisse geben zu denken, ohne dass der Autor mit dem moralischen Zeigefinger winkt. Sound und Geräusche greifen die spannende Handlung auf und vertiefen sie. Wenngleich der Hörer frühzeitig zu ahnen glaubt, wer der oder die Entführer sind, endet das Hörspiel mit einem überraschenden Plot. Es hätte also ein richtig toller Krimi sein können. Aber der Autor hat sich gegen das Seidensticken entschieden und einen groben Norwegenpulli gestrickt. Vieles klingt überzogen und nicht überzeugend. Schuld daran, dass Menschen fallen, können auch Menschenfallen sein. Eine wichtige Erinnerung.

 

 

Fazit

 

Unüberhörbar das Autor und Regie ihren Job beherrschen. Genau das Richtige für eine 45-Minutenfahrt in der Bahn. Der Autor hat noch Luft nach oben.

 

 

Wertung 80 %

 

Dauer 45 Min.

 

 

Verfügbarkeit

 

ARD Audiothek

 

 

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