Montag, 19. September 2022

Sakari – Viel Kunst, etwas Genuss

Buchcover

 

„Sakari lernt, durch die Wände zu gehen“ ist die aktuelle (29.08.22) Hörspieladaption eines Buches des renommierten, literarisch ehrgeizigen Autors Jan Costin Wagner. Das Buch wurde bereits 2017 als 6.ter und letzter Fall um den finnischen Kommissar Kimmo Joentaa veröffentlicht. Produziert wurde diese Bearbeitung vom Deutschlandradio Kultur. Schon 2008 hat der WDR ein erstes Hörspiel von Wagner adaptiert: „Das Schweigen“. Seine Bücher werden häufig dem Genre Skandinavien-Krimi zugeordnet, da sie in Finnland spielen und den typischen leicht melancholischen Tonfall haben.

 

Inhalt

 

Der junge finnische Polizist Petri beobachtet von seiner Wohnung aus, wie ein nackter Mann mitten im Ortszentrum mit einem Messer fuchtelt und sich selbst verletzt. Er läuft hinunter und sieht, wie dieser Mann in einen Brunnen klettert. Ein kleiner Junge, der Eis isst, schaut neugierig zu. Petri fordert den Mann auf, das Messer abzugeben und herauszuklettern. Die Situation eskaliert. Petri schießt. Das Kind ist gerettet, aber der Mann tot. Es ist noch ein Halbwüchsiger.

Petri ist verzweifelt, er wird vom Dienst suspendiert und vertraut sich seinem Kollegen Kimmo an. Sie schauen sich das Facebook-Profil des Toten an: Es ist seltsam und verwirrend. Der junge Mann muss psychische Probleme gehabt haben. Er wohnte in einer Betreuungs-WG. Während sie die Familie des toten Sakari besuchen, bricht im Nachbarhaus ein Brand aus. Zufall oder Absicht? Gibt es einen Zusammenhang zum Tod Sakaris? Tatsächlich ist Sakari am Tod der Nachbarstochter schuld. Vor einigen Jahren hat ist sie bei einem Motorradunfall durch sein Verschulden ums Leben gekommen. Petri und Kimmo tauchen tief in die Welt dieser beiden zutiefst verletzten Familien ein.

 

Skandinavien-Krimi?

 

Die Handlung spielt in Finnland und tatsächlich herrscht eine eher etwas melancholische Stimmung. Der filmkundige Hörer wird schnell an den finnischen Regisseur Akis Kaurismäki erinnert. Allerdings gibt es nicht nur eine düstere Welt voller Rätsel und Lebensweisheiten, sondern auch die dem Leben zugewandte Seite. Der alleinerziehende Kimmo hat eine schwere Lebenskrise unüberhörbar überwunden und hilft seinem Kollegen zugewandt und empathisch.Die noch zehnjährige Tochter Sanna ist lebenslustig und „schmeisst“ den Haushalt. Die vielen mitwirkenden Kinder heitern die deprimierende Szenerie immer wieder auf.

 

Die Inszenierung

 

Die Bearbeitung hat es nicht leicht mit der Vorlage. Das Hörspiel ist eine Ansammlung von beglückenden und verwirrenden Hörstückchen. Viele Figuren berichten gelegentlich von ihren Befindlichkeiten in inneren Monologen. Dann folgen in hohem Tempo Dialoge oder kleine Szenen. Es gibt reichlich Rückblenden. Und die vielen auftretenden Personen haben meist nur Vornamen, die sich der Hörer alle merken muss, um dem Stoff zu folgen. Zumal die sprachliche Vorlage höchsten literarischen Ansprüchen genügt und sich jeder Satz ins Ohr schleicht. 

 

Die Sprecher

 

Die beiden Hauptpersonen Kimmo und Petri sind überzeugend gesprochen. Kimmo ist bodenständig, aber auch sensibel. Petri ist der junge, unsichere Polizist, der noch Unterstützung benötigt. Die Mutter des toten Sakari hört sich betroffen an. Es klingt aber auch eine Gleichgültigkeit durch, weil sie es nicht geschafft hat, Sakari aus seiner Lebenskrise zu führen.

Es ist nie ganz einfach Kinderstimmen zu finden, die realistisch klingen. Hier ist der Regie eine Glanzleistung gelungen. Die vielen Kinderstimmen klingen wie in der wirklichen Welt. Insbesondere Kimmos Tochter sieht der Hörer vor sich: Wie sie ihren Vater be“muttert“, ihr Leben und das Leben ihres Vaters in die Hand nimmt.

 

Der Eindruck


Die Story wird zügig und abwechslungsreich erzählt. Das Ende bleibt lange offen und verstört den Hörer. Die Handlung ist nicht frei von inhaltlichen Schwächen. Erschießt ein Polizist tatsächlich einen nackten Jungen im Brunnen? Brennt gerade ein Haus ab, während die Polizei nebenan verhört?

Aber Handlung ist nicht alles. Der Krimi erzählt eine Geschichte von Familien, die schweres Leid erfahren haben und deren Handeln Außenstehende kaum verstehen. Bei aller Empathie seinen Figuren gegenüber bewahrt der Autor eine distanzierte, aber verständnisvolle Haltung. Der Vater von Emma, die beim Motorradunfall ums Leben gekommen ist, verlässt die Familie, weil er die Trauer nicht mehr aushalten kann. Im Hörspiel klingt viel Verständnis für diesen Schritt durch. Ein wenig erinnert Kimmos Vorgehen an Maigret, der den Menschen zuhört und versucht ihre Situation und möglichen Motive zu verstehen. Maigret ist die Lösung des Falles wichtig, nicht die Bestrafung der Täter.

Die sparsam instrumentierte Musik fängt die jeweilige Stimmung ein und betont sie, lädt aber   nicht zum Gedankenschweifen ein.

 

 

Fazit

 

Ein spannender Krimi mit etwas Skandinavien, ein wenig Melancholie und viel Psychologie sowie Lebensweisheiten auf hohem, literarischen Niveau. Etwas zu viel Kunst und zu wenig Genuss.


Wertung  75%

 

Dauer 56 min

 

 

Verfügbarkeit

 

In der ARD Audiothek 

 

Sonstiges

Interview mit der Regisseurin

Der Autor 

 

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