Montag, 25. Juli 2022

Sprich dein Gebet, Shimon Lévy – Anmutung oder Zumutung?

Französiche Buchvorlage

 

Das Team der SWR Hörspielredaktion wagt einen mutigen Schritt: Ein französischer Regionalkrimi der Autorin Annette Fern, die gerade mal zwei Bücher in Frankreich veröffentlicht hat, wird in ein Kriminalhörspiel übertragen. Eine deutsche Veröffentlichung gibt es nicht. Das Ganze spielt in Straßburg, also Elsass, in einer jüdischen Gemeinde! Dazu gehören Mut und Selbstbewußtsein.

 

Inhalt

 

Der neueingestellte Kantor der jüdischen Gemeinde erscheint nicht zum symbolträchtigen Gemeindegesang an Yom Kippur an seinem neuen Arbeitsplatz, der Straßburger Synagoge. Am nächsten Morgen findet die Radiomoderatorin der jüdischen Gemeinde seine Leiche im abgeschlossenen Aufnahmeraum. Er wurde erstochen. Der ältliche Kommissar Schweitzer ermittelt akribisch in dem für ihn unbekannten jüdischen Umfeld. Wie kam der Täter in den Aufnahmeraum? Kannte der Tote den Täter? Der Raum war abgeschlossen, als die Moderatorin ihn öffnete!  Wer hatte überhaupt ein Motiv, einen begabten, eher einsamlebenden, jungen Kantor zu töten? Der neue Kantor war übers Internet aus Israel vermittelt worden und niemand kannte ihn offenbar näher. Schweitzer freundet sich im Laufe der Ermittlungen mit einem wichtigen, selbst betroffenen Gemeindemitglied an und erfährt immer mehr über Neider, Intrigen und Liebesspiele in der Gemeinde, ohne dass er Hilfreiches über die Person des Kantors oder mögliche Motive erfährt. Die Ermittlung verläuft im Sande, lässt ihm innerlich aber keine Ruhe. Als seine neuen Freunde ihn und seine Frau ein Jahr später nach Tel Aviv einladen, nimmt er sich vor, diesen Warm Case aufzugreifen. Begabt mit Zähigkeit, Kontaktfreudigkeit, gepaart mit hilfsbereiter, israelischen Polizei und Kommissar Zufall gelingt es ihm, den Fall zu lösen, ohne dass seine Ehefrau, den Urlaub abrupt abbricht.

 

 

Anmutung oder Zumutung?

 

Dem laut Wiki in Straßburg wohnenden routinierten Regisseur Ulrich Lampen ist ein beneidenswerter Fund in die Hände geraten und eine wunderschöne kriminalistische Hörspielerzählung gelungen. Keine Cliffhanger, nicht infarktgefährdend, aber Neugier weckend bei Menschen, die die Abgründe menschlichen Dasein aus umfangreicher Lektüre, Zuhörens  oder eigener Erfahrung kennen. Alles ganz ruhig und eher beiläufig erzählt, aber nie ohne innere Spannung. Der Hörer taucht ein in die eigene Welt einer jüdischen Community, die so eigen nicht ist, weil sie bei allen Traditionen eingebunden ist in die wirkliche Welt. Sprachlich wird das durch ein tiefes Abtauchen in eine Art Honoratioren-Jiddisch oder Elsässisch verständlich gemacht. Was nicht für jeden verständlich ist. Aber damit gelingt ein atmosphärisch unheimlich dichtes Hörerleben, dass manche Schwächen des eher gemächlichen, inhaltlich nicht wirklich überzeugenden Krimis überdeckt. Es ist nicht das Anliegen dieser Ursendung, die kulinarischen Highlights Straßburgs zu präsentieren oder sich anderweitig dem Mainstream anzubiedern.

Das alles funktioniert auch deswegen, weil es dem Produktionsteam gelungen ist, ein wenig bekanntes Sprecherteam zusammenzustellen, das stimmig ist und Stimmung hebt: Chapeau.

Erst gegen Ende erschließt sich der Titel, der wörtlich dem französischen Buchtitel folgt.

 

Einordnung

 

Die belesene Autorin Fenn kennt ihre Pappenheimer. Der Krimi ist unüberhörbar in elsässische und jüdische Krimitraditionen einzuordnen. Der Hunkeler vom Schweizer Autor Schneider, aber auch der übermächtige Maigret lassen grüßen. Die nebenbei vermittelten Informationen über jüdisches Leben außerhalb Israels erinnern an Alfred Bodenheimer und seinen Rabbi Klein oder, oder, lang ist es her, Rabbi Small von Kemelman. Keine komplizierten Fälle, nicht zu viel Psychologie, sondern Alltag in der jüdischen Lebenswelt.

Was dem Außenstehenden als komplizierte rituelle Regel daherkommt, entpuppt sich im Alltag als lästige Marotte, wie sie in jeder Familie vorkommen kann. Autorin und Regie haben unüberhörbar das Anliegen jüdischen Lebens verständlich zu machen. Es gibt ja das schöne Wort: Hörverstehen. Schön wäre es, wenn es für jüdisches Leben überall in der Welt auch noch angstfrei sein könnte. Ein geschickter Schachzug ist es übrigens, dass alles im Elsass spielen zu lassen. Eine Region mit wunderschönen Fachwerkhäusern und einem Freizeitpark für die Schlümpfe. Dann sparen wir uns die großen Aufgeregtheiten bei manchen Vereinfachungen.

 

Fazit

 

Trotz erstochener Leiche nichts für hard-boiled Fans. Aber wer die Ohren spitzt und die Synapsen auf go stellt, wird diese Zumutung genießen und im besten Fall mehr Verständnis für eine geschundene Minderheit aufbringen.

Das Redaktionsteam wird wissen, dass die Autorin bereits einen zweiten Roman mit diesem Team auf Französisch publiziert hat.

 

Wertung 85 %

 

Dauer 54 Minuten

 

Verfügbarkeit

 

In der ARD Audiothek

 

https://www.ardaudiothek.de/episode/swr2-krimi/annette-fern-sprich-dein-gebet-shimon-levy-krimi-ueber-den-tod-eines-kantors-in-der-strassburger-synagoge/swr2/10605273/

 

 

 

 

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