Montag, 5. September 2022

Ramsch – Ein „Hör“-Spiel in der Unterschicht

 

© ARD / Jürgen Frey


Ramsch ist das dritte Kriminalhörspiel des Autors Dirk Laucke in der Radio Tatort-Reihe für den MDR. Der Autor verortet diese Krimis in der fiktiven Kreisstadt Lörben, irgendwo zwischen Mannsfelder Land und Saale Kreis in Sachsenanhalt.  Im Zentrum der Ermittlungen steht die junge Polizeimeisterin Nancy Ritter, die aus dem Plattenbau-Gebiet Lörben-West stammt. Sie hat mit dem Polizeiapparat noch zu kämpfen und ständig Ärger mit ihrem vorbestraften Bruder Tommy.

 

Inhalt

 

Tommy Ritter, der Bruder der Polizeimeisterin Nancy, wird Vater. Er und seine Freundin Steffy freuen sich unbändig, ahnen aber zugleich, dass ihr Leben nun noch schwerer wird. Da trifft es sich gut, das Tommy seinen alten Kumpel Aaron aus der Platte auf der Entbindungsstation trifft: Geteiltes Leid ist halbes Leid.

Vier Monate später fragt Nancy ihren Bruder bei einem Babybesuch über diesen Aaron aus. Die entstellte Leiche seiner Lebensgefährtin Katrin Fräse wurde auf dem Lörbener Recyclinghof gefunden. An der kurzen Leine ihrer Chefin vom LKA, Gesche Krause, muss sich Nancy gemeinsam mit ihrem übergriffigen Kollegen Marchlewski um diesen Fall kümmern.

Als Erster gerät Aaron in Verdacht. Er scheint zu fliehen, als das Jugendamt versucht, ihm die drei Kinder zu entziehen. Die Angaben über seinen Verbleib zur Tatzeit sind widersprüchlich.

Katrin Fräse war nach einer Entziehungskur clean und eigentlich auf einem guten Weg. Sie besuchte bei der Firma Integra regelmäßig einen Integrationskurs. Aber offenbar gab es auch noch Kontakte zu ihrem ehemaligen Dealer. Zu guter Letzt haben die kinderlosen Inhaber der Firma Integra sich um die Kinder von Katrin während ihres Entzugs gekümmert. Auch jetzt sind zwei der drei Kinder wieder bei Ihnen. Die 14-jährige Judy ist verschwunden. Haben Sie ein Interesse Katrin Fräse loszuwerden?

Die Ermittlungen sind nicht leicht. Das Polizeiteam zieht nicht an einem Strang und die geballte Ablehnung der Plattenbewohner macht die Arbeit nicht leichte.

 

Das „Hör“-Spiel

 

Das Beste an diesem Hörspiel ist das Hörvergnügen. Da wird geschimpft, gebrüllt und geweint. Der Hörer schmunzelt über den feinen, lakonischen Humor und witzige Wortspiele, über tolle Dialektszenen. Alles kurz und knapp inszeniert, keine Minute langweilig. Kläffende „Köder“, schreiende Baby, quietschende Papierpressesind Beispiele für die vielseitige Geräuschkulisse.

Manche Szene wird von psychedelischen Tönen begleitet oder beglückender Ukulele-Musik. Diese Musik ist das pure Gegenstück zu der Welt der Plattenbewohner, die aus ihrem Elend kaum herauskommen, weil die Welt voller Vorurteile ist und ihre kleinen Schritte immer wieder zerstört. Der Autor steht ganz klar auf der Seite dieser Benachteiligten, die mehr sind als nur Ramsch.

Die Story wird chronologisch sauber, gelegentlich aus der Perspektive von Tommy erzählt. Es gibt viele hörenswerte Spielorte, die Sound und Geräusche wunderbar be“ton“en (Entbindungsstation, Recycling-Hof oder ein abgefackeltes Auto). Der Hörer braucht ein wenig, um die vielen Sprecher eindeutig zuzuordnen, aber es lohnt sich. Eine der schönsten Szenen ist die Befragung des Recycling-Mitarbeiters zum Leichenfund. Die schwer sächselnde Antwort versteht Nancy Ritter erst beim Nachfragen. Oder der Dealer mit seinem Kanaken-Slang, der sich als gebürtiger Sachse aus der Platte entpuppt.

Trotz unüberhörbarer Sozialkritik bleibt das Hörspiel bis zum Schluss spannend. Ein unerwarteter Shut-Down führt zu einem dramatischen Ende.

Nancy Ritter ist der ruhende Pol der Ermittlungen, ihr Kollege Marchlewski ein wenig glaubwürdiger Abklatsch aus amerikanischen hard-boiled Krimis. Insgesamt haben die Figuren wenig persönlichen Charakter, sondern sind eher Abbild eines Typus. Die Zwischentöne und menschliche Vielfalt fehlen weitgehend und nehmen dem Hörspiel viel von seinem Anliegen. Irgendwann mag man dem Gefluche der Plattenbewohner nicht mehr zuhören, weil schon klar ist, was nun kommt.

 

Fazit

 

Ohne Frage ein spannender Hörgenuss, der viele schwache Tatort-Folgen wettmacht. Genial inszeniert und sprachlich attraktiv. Etwas weniger Plattheiten, sondern mehr Tiefe werden den nächsten Folgen guttun.

 

 

Wertung  80%

 

Dauer 54 min

 

 

Verfügbarkeit

 

In der ARD Mediathek oder direkt beim MDR

 

Sonstiges

 

Interview mit dem Autor

 

Recycling-Hof Hörprobe

 


 

Facebook-Trailer

 

 

 

 

 

 

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